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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Museum der Gefäße / Projektbeschreibung

Gefäße verstehen

von Nicola Lepp

Ausgangspunkt für dieses experimentelle Humboldt Lab-Projekt war eine Beobachtung, die sich aus dem Workshop „Fragen stellen“ im Juni 2012 ergab: nämlich die, dass in den im Fokus der Probebühne stehenden Museen in Berlin-Dahlem – dem Ethnologischen Museum und dem Museum für Asiatische Kunst – eine große Zahl aller ausgestellten Objekte Gefäße sind. Aus Ton, Bronze, Gold oder Silber, aus Glas, Holz und anderen organischen Materialien sind sie hier wie keine andere Objektgattung allgegenwärtig. Genau genommen sind es 38 Prozent aller Exponate, wie sich bei einer Zählung später herausstellte.

Das Projekt „Museum der Gefäße“ ließ sich von dieser Allgegenwart der Gefäße irritieren, indem es die einfache Tatsache ihrer Anwesenheit in den Schauräumen des Museums als erstaunliches Ereignis setzte, um sie so der Befragung zugänglich zu machen: Warum eigentlich werden hier so viele Gefäße zur Schau gestellt und was ist das überhaupt, ein Gefäß? Und was haben Gefäße mit Kultur zu tun? Die jetzigen Präsentationen mit ihren kulturgeografischen Zugängen und Ordnungen geben kaum Hinweise zur Beantwortung solcher eher phänomenologisch als ethnologisch inspirierter Fragen. Die Gefäße werden hier wie alle anderen Objekte auch als dinghafte Zeugnisse und Artefakte „anderer“ Kulturen präsentiert. Und dieser (probate) Zugriff, der den meisten europäischen Sammlungen außereuropäischer Kulturen zugrunde liegt, ist so machtvoll, dass er andere Perspektiven und Deutungsangebote versperrt – weil sich Objekte selten in mehrere Logiken gleichzeitig fassen lassen.

Kulturwissenschaftliche Zugänge

Das Ausstellungsexperiment wollte jenseits disziplinärer Zugänge andere Perspektiven auf Gefäße ausloten. Die Sicht der ExpertInnen, die hinter den aktuellen Präsentationen kenntlich ist, wurde mit einer breiten kulturwissenschaftlich-transdisziplinären Perspektive konfrontiert. Den Gefäßen der einzelnen Kulturen war eine Kultur der Gefäße an die Seite gestellt, um zu erkunden, ob durch Erweiterungen des Blicks auch ein erweitertes Verstehen von Objekten im Museum erzeugt werden kann. Dabei war es unerlässlich, sich auch mit dem institutionellen Selbstverständnis, das den musealen Objektpräsentationen zugrunde liegt, auseinanderzusetzen. Denn jede im Museum entwickelte Ordnung und jede Klassifizierung von Objekten bedeutet notwendig auch eine Verengung und damit eine Reduktion von Komplexität. In Hinblick auf die Sammlungspräsentationen im Humboldt-Forum sollte schließlich gefragt werden, ob überhaupt und, wenn ja, welche Perspektiven die kulturgeografische Ordnung bereichern, konterkarieren und ergänzen können.

Inspiriert wurden wir – die Kuratorin Nina Wiedemeyer, die Gestalterin Ursula Gillmann und ich – von Diskursen, die seit einiger Zeit in der internationalen Dingtheorie bestimmend sind und beispielsweise untersuchen, wie Dinge menschliches Handeln im Voraus festlegen. Diese praxeologische Dimension haben die Gefäße in der jetzigen Präsentation in Dahlem vollständig eingebüßt. Für die Humboldt Lab-Ausstellung galt es daher, Ansätze zu entwickeln, Gefäße nicht nur als Artefakte, Zeugnisse und Überreste, sondern eben auch als Agenten menschlichen Handelns und Denkens zu zeigen. Die zentrale These war, dass Gefäße soziale Medien sind und das Handeln mit Gefäßen Gemeinschaft stiftet. Denn was wäre, wenn die Gefäße wegfallen? Gibt es überhaupt Kultur ohne Gefäße? Unversehens und ziemlich unerwartet ergaben sich aus der ersten und banalen Beobachtung der Gefäßfülle an sich, als auch aus der direkten Auseinandersetzung mit den Gegenständen in ihrer musealen Ordnung grundlegende Fragen an die Gegenstände der Dahlemer Sammlungen selbst. Die kulturgeografische Ordnung ergab dabei keinen Sinn mehr und wurde in diesem Humboldt Lab-Experiment folglich aufgegeben.

Das Ausstellungsexperiment: eine Versuchsanordnung über das Ausstellen an sich

Stattdessen setzte das „Museum der Gefäße“ den kulturübergreifenden Gegenstand „Gefäß“ als Ausgangspunkt der Erkundungen. Der Einführungstext lautete: „Ein Gefäß ist ein Werkzeug zum Erfassen, Behalten und Abgeben von Stoffen. Es speichert Nahrungsmittel oder menschliche Überreste, aber auch Zeit und Arbeitskraft. Es ist zum Austausch von Waren genauso geeignet wie zum Knüpfen von Verbindungen zum Beispiel mit Göttern oder magischen Kräften. Gefäße gehören vermutlich mit zu den ältesten Medien des Austauschs zwischen Menschen. Wie kaum ein anderes Ding sind sie geeignet, jenseits der Vorstellung ,ganzer‘ Kulturen die Eigenarten von Menschen als Effekt von Vermischungen und Migrationen erkennbar zu machen.“

Für die Erkundungen bediente sich die Humboldt Lab-Ausstellung zweier unterschiedlicher Formate: eine außerhalb der Sammlungspräsentationen liegende und vornehmlich objektbasierte Ausstellungseinheit im Oberen Foyer, die wir die „Gefäßzentrale“ nannten, sowie vier Medieninstallationen, die wir als Interventionen an unterschiedlichen Orten in beiden Museen platzierten. Das Medium Film spielte in allen Installationen eine zentrale Rolle. Der Statik der Objekte wurde systematisch die Logik des bewegten Bilds und des Tons zur Seite gestellt, um herauszufinden, inwieweit diese zeitbasierten Medien in der Lage sind, die Verquickung von Dingen und menschlichem Handeln sichtbar zu machen.

Die auf einer zentralen Plattform aufgestellten Gefäße in der „Gefäßzentrale“ waren nach unterschiedlichen kulturwissenschaftlichen Fragestellungen und Beobachtungen gruppiert. Gefragt wurde zunächst: Was ist überhaupt ein Gefäß und welche Ordnungssysteme und Beschreibungsweisen gibt es? Die Perspektiven reichten von Gefäßtypologien (Vase, Krug, Kanne, Becher, Amphore und Co.) über Grenzfälle (sind eine Fischreuse oder ein Sieb ein Gefäß?) oder der in vielen Kulturen beobachtbaren Anthropomorphisierung der Gefäße (ästhetisch wie sprachlich – „Hals“, „Lippe“, „Bauch“ von Gefäßen oder „ich bin angeschlagen“) bis hin zu unterschiedlichen Zweckzuschreibungen (Gefäße für ...). Text spielte in der „Gefäßzentrale“ eine wichtige Rolle; nicht nur als ein die Dinge bezeichnendes Label an den Exponaten selbst, sondern als Medium der Erkundung, Abwägung und Befragung. Daher trat Text wie eine eigene Ausstellungsebene in Erscheinung, indem er handschriftlich und großflächig in die Szenografie eingebunden war. Schließlich zeigten wir Ausschnitte aus ethnologischen Filmen, die sich mit Handlungen wie Fassen, Aufbewahren, Transportieren oder Ausschenken beschäftigten und so die soziale Bedeutung der Gefäße für die Gemeinschaft deutlich machten („Gefäßhandlungen“).

Einzelne Aspekte der Gefäße wurden in vier interventionistischen Medieninstallationen vertieft: ihre Fülle im Museum, ihre Zerbrechlichkeit, der Raum im Innern, ihre Funktion als Medium der Gabe. So etwa wurden bei der Installation „Gießen_Schenken“ Gefäße der Moche-Kultur in Gebrauch genommen und die Handhabungen filmisch aufgezeichnet, um ihr Gießverhalten und ihren Klang zu erproben. Für dieses Reenactment waren dezidiert Gefäße aus den archäologischen Sammlungen Mesoamerikas ausgewählt, bei denen das Wissen um einen tatsächlichen Gebrauch verloren ist. Die vier Installationen nahmen kulturwissenschaftliche Erkundungen bewusst auch mit künstlerischen Mitteln vor, in der Überzeugung, dass die Zugänge der Kunst für die Erforschung der Dinge bereichernd sind. Diese Interventionen eröffneten jedenfalls überraschende, teils spekulative, in jedem Fall aber anders nicht zu erlangende Zugänge zu den in den Museumsvitrinen ruhiggestellten Gefäßen.

Ebenso wie die Konzeption war die Gestaltung von „Museum der Gefäße“ eine Versuchsanordnung über das Ausstellen an sich. Der gestalterische Ansatz arbeitete mit dem klassischen Repertoire musealer Präsentationsweisen – mit Sockel, Rahmen und Vitrine. Einfachste Eingriffe und Ver-Rückungen untersuchten, wie mit der Gestaltung der Präsentation die Wahrnehmung der Dinge verändert werden kann. Selbst die Bewegung der BesucherInnen im Raum war systematischer Teil der Vermittlung: In der „Gefäßzentrale“ mit ihren durchscheinenden Glasflächen wurde mit jeder Veränderung des Standorts auch das Arrangement ein anderes – Vordergrund wurde Hintergrund, die Überlagerungen und Zuordnungen von Texten und Objekten verschoben sich und ergaben neue inhaltliche Konstellationen und Wahrnehmungsweisen.

Aufforderung zur Grenzüberschreitung

Es ging bei dem Humboldt Lab-Experiment nicht um ein „richtiges“ oder ein „gelungenes“ Projekt, sondern um das Ausloten von Möglichkeiten, die es erlaubten, den engen Rahmen der disziplinären Ordnung unserer Museumslandschaft zu überschreiten und dabei auch den traditionellen Begriff von Objekten als Zeugnisse und Artefakte, wie er museale Operationen bis heute weitgehend bestimmt, zu öffnen. Das Projekt versteht sich als Plädoyer für eine, zumindest partielle, „Entdisziplinierung“ des Museums. Denn erst so geraten Fragen ins Blickfeld, die nicht nur die Anderen, sondern auch uns als andere angehen.


Ursula Gillmann ist Ausstellungsgestalterin und Museumswissenschaftlerin. Seit 1989 entwickelt und realisiert sie Ausstellungsprojekte mit dem atelier gillmann und der arge gillmann schnegg. Seit 2009 ist sie Professorin für Ausstellungsdesign an der Hochschule Darmstadt. Wichtige Projekte waren unter anderem: Wege zur Welterkenntnis (Basel, 2009); Berge – eine unverständliche Leidenschaft (Innsbruck, 2007); PSYCHOanalyse (Berlin, 2006); Alltag – eine Gebrauchsanweisung (Wien, 2003); Unten und oben. Zur Naturkultur des Ruhrgebiets (Essen, 2001).

Nicola Lepp ist Kulturwissenschaftlerin und Ausstellungsmacherin in Berlin. Seit 1995 entwickelt sie Themenausstellungen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst und arbeitet an alternativen Formen des Ausstellens und Kuratierens. Wichtige Projekte sind zum Beispiel GRIMMWELT (Kassel, 2015); Arbeit. Sinn und Sorge (Dresden, 2009/2010); PSYCHOanalyse (Berlin, 2006); Der Neue Mensch. Obsessionen des 20. Jahrhunderts (Dresden, 1999). Von 2001 bis 2007 war sie stellvertretende Professorin an der Fachhochschule Potsdam im Studiengang Kulturarbeit, derzeit ist sie dort Vertretungsprofessorin für Kulturvermittlung; sie hatte zahlreiche Lehraufträge inne und publizierte zur Museums- und Ausstellungstheorie.

Nina Wiedemeyer ist Kunst- und Medienwissenschaftlerin. Sie arbeitet seit 1998 als Autorin und Kuratorin für Museen und Ausstellungsbüros, unter anderem für prauth (Ausstellungsprojekt: Arbeit. Sinn und Sorge (Dresden, 2009/2010) und bei den exponenten. Seit 2012 ist sie Post-Doc an der Universität der Künste Berlin im Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“ mit einem Projekt zur prekären Wissensgeschichte des Kunstgewerbes. Zuletzt erschienene Publikation: Buchfalten: Material, Technik, Gefüge der Künstlerbücher, Zürich/Berlin 2013.


Ein Gespräch zu diesem Projekt finden Sie hier.