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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Musik sehen / Projektbeschreibung

Die Verlebendigung der phonographischen Sammlung als künstlerische Installation

von Elke Moltrecht

Der herausragende Bestand an historischen Tondokumenten des Ethnologischen Museums war der Anlass, im Rahmen des Humboldt Lab Dahlem eine Ausstellung unter dem Motto „Musik sehen“ zu initiieren.

Die Sammlung zählt mit 150.000 Aufnahmen auf unterschiedlichen Tonträgern, wie Wachswalzen, Tonbändern, Kassetten, Schallplatten, CDs, aber auch vielen filmischen Materialien, wie Videobändern und DVD’s, sowie mit etwa 2000 Musikinstrumenten aus aller Welt zu der weltweit größten und bedeutendsten ihrer Art. Ein Grund für die UNSECO, die herausragenden historischen Tondokumente 1999 in die Liste „Memory of the World“ aufzunehmen.

Wir stellten uns die Frage, wie es im künftigen Humboldt-Forum gelingen kann, Musik und audiovisuelle Materialien schlüssig auszustellen und sichtbar zu machen. Entstanden sind zwei Ausstellungen, die in aneinander angrenzenden und akustisch offenen Räumen von je 150 Quadratmetern sehen ließen, was zu hören war.

Ein Fundus der Ideen

Uns ging es darum, einen möglichst breit aufgestellten Personenkreis aus Kulturschaffenden anzusprechen, der sich den Beständen mit gänzlich anderem Blick nähern würde, als es WissenschaftlerInnen oder EthnologInnen tun. So richtete sich der zweistufige Konzeptwettbewerb an internationale KünstlerInnen aus den Bereichen Bildende Kunst, Design, Architektur, Musik, Klang- und Videoinstallation, Medienkunst, Performance und Ausstellungsgestaltung. Sie waren aufgerufen, in individuellen Teams szenografisch überzeugende Ausstellungsformate zu konzipieren und selbst zu produzieren. Musik sollte dabei ohne jeden Soundteppich in eindrücklichen und atmosphärisch herausfordernden Installationen sichtbar und Immaterielles ausstellbar gemacht werden. Innerhalb von drei Wochen erreichten uns 80 Konzepte aus dem In- und Ausland. Während des gesamten Wettbewerbsverfahrens wurde das Beratungs- und Besichtigungsangebot mit WissenschaftlerInnen im Museum und im Phonogrammarchiv von den BewerberInnen intensiv wahrgenommen. Eine spannende Befragung der Sammlungsbestände ging damit einher.

In einer Auswahlsitzung des Humboldt Lab wurden 11 Teams beauftragt, ihre Projekte innerhalb von weiteren vier Wochen auszuarbeiten. Eine Jury entschied sich für zwei Ausstellungen, die komplementär und dennoch in einer sinnvollen Beziehung zueinander standen: „lichtklangphonogramm – eine Ausstellung von historischen und erfundenen, optischen und mechanischen Klangmaschinen aus dem Zeitalter des Wachszylinderphonographen“ und „participants and objectives – 8 takes on filming music”.

„lichtklangphonogramm – eine Ausstellung von historischen und erfundenen, optischen und mechanischen Klangmaschinen aus dem Zeitalter des Wachszylinderphonographen“

Das Künstlerteam von Melissa Cruz Garcia, Aleks Kolkowski, Matteo Marangoni und Anne Wellmer wählte Wachszylinderaufnahmen und Experimentalwalzen aus dem Phonogrammarchiv aus und konzentrierte sich auf die Materialität und Mechanik der Geräte. Es entwickelte ein eindrucksvolles Kuriositätenkabinett von bekannten bis komplett neu erfundenen Apparaten, durch die es mit Blick auf die Gegenwart immer auch in die Vergangenheit spähte.

Zum Beispiel brachte eine Laterna Magica die physische Beschaffenheit der Wachsrollen zur Geltung. Mit Kurbeln konnten die Besucher Zahnradbilder in Bewegung setzen. Ein neu erfundenes „Grammoskop“ durchleuchtete mithilfe eines Grammophontrichters einen historischen, manuell zu bedienenden Filmprojektor. Ein selbst entworfenes „Mutoventilatoskop“ bot dem Mutoskop, der Kinora und dem Daumenkino eine Referenz. In der „Hornbostelheterophonie“ hörte man Carl Stumpf, der das Berliner Phonogramm-Archiv 1900 ins Leben rief und Erich von Hornbostel, seinen ersten Direktor von 1905 - 1933. Ein „Wachszylinderphonograph“ ermöglichte bis zu 15 Zuhörern gleichzeitig, mit Hilfe von Stethoskopen eine Klangcollage aus dem Archivmaterial anzuhören. Und im „Archivophon“ konnten die Besucher aus 50 Tonaufnahmen individuell auswählen. Zur Finissage probierte das Publikum mit den vier anwesenden KünstlerInnen die Objekte, Instrumente und Mechaniken live aus – es entstand eine audiovisuelle Live-Installation mit Konzert.

„participants and objectives – 8 takes on filming music”

Das Künstlerteam von Daniel Kötter, Julian Klein, Juliane Beck und raumlaborberlin ging folgenden Fragen nach: Auf welche Weise machen Ethnologen mit ihren Aufnahmegeräten vergangene und gegenwärtige Musik eigentlich sichtbar? Wie kann diese Visualisierung gleichermaßen den ethnologischen Blick auf das Musizieren in verschiedenen Kulturen verändern? Wann wird die Kamera vom beobachtenden zum gestaltenden Werkzeug? Und: Wie schauen Besucher einer Ausstellung auf die filmische Dokumentation von Musik? Daniel Kötter rekomponierte und inszenierte vorgefundenes Video-Material aus dem Archiv der musikethnologischen Sammlung und machte acht Kurzfilme daraus. Die Architektengruppe raumlaborberlin gestaltete dazu passend jeweilige partizipative Betrachtersituationen.

In der Filmsequenz „Pre Roll“ fokussierte Kötter auf das profane Vorher und Nachher der eigentlichen musikalischen Aktion – raumlaborberlin wählte dafür das Ambiente eines Wohnzimmers. „Recording“ stellte die mobile Aufnahmetechnik ins Zentrum, dank der Außenaufnahmen erst möglich waren. raumlaborberlin entwarf hierfür einen Klassenraum. Der feststehende Blick durch eine Stativ-Kamera („Set“) wurde in einem Küchenraum verortet. Motive mit Schwenkaufnahmen („Panning“) konnten auf einer inszenierten Festwiese betrachtet werden. „Zoom“, das Näherkommen an ein Objekt, ohne den Abstand zu ihm zu verringern, sahen die BesucherInnen in einem Wartezimmer. Den nahen Blick auf das Detail („Close up“) erlebten die Betrachter liegend in einem Bett und „Flashback“– den Blick des Gegenübers in die Kamera – in einer Bar. Für „Editing“, den selbst gewählten Blick des Besuchers auf das ungeschnittene Filmmaterial der Wissenschaftler, hatte die Architektengruppe ein Archivzimmer gebaut.

Das Künstlerkollektiv interessierte die Blickperspektive als künstlerisches Gestaltungselement und es deutete das historische Dokumentationsmaterial um. Die Installation brachte das Verhältnis von ethnografischer Kinematografie der Wissenschaftler und den künstlerischen Umgang mit ethnologischem Originalmaterial in Beziehung. So entstand ein Spannungsfeld zwischen der (scheinbar) neutralen Dokumentation eines Kamera-Objektivs und der (offenbar) individuellen Wahrnehmung des Hörer-Subjekts.

Potenzial und Möglichkeit der Anknüpfung

Beide Künstlerteams haben neuartige und sinnlich erfahrbare Ausstellungsgestaltungen erfunden, die beispielhaft außerhalb üblicher Fachkreise oder Formate den akustischen und visuellen Fundus der Kulturen der Welt aus dem Museum künstlerisch neu und gegenwärtig beleuchteten. Sie kreierten methodische Instrumente, um jenseits der Sprachlosigkeit etwas Neues zu etablieren. Aus ihrem Dialog können vertiefende Deutungsschichten, andere Verständnisebenen und partizipative Formate entstehen. Ein Potenzial, das beide Ausstellungen aufweisen. Das Humboldt-Forum kann daran anknüpfen – aber auch die Idee aufgreifen, Ausstellungsräume und -objekte für audiovisuelle Installationen und Live-Performances zu nutzen.


Elke Moltrecht ist seit März 2014 Geschäftsführerin bei der Akademie der Künste der Welt in Köln, zuvor war sie Geschäftsführerin beim landesweiten Netzwerk Neue Musik „Musik 21 Niedersachsen“ und beim Projekt „Hybride Musik“. Sie studierte Musikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und war Leiterin des Musikbereichs im Podewil – Zentrum für aktuelle Künste und vom Ballhaus Naunynstraße in Berlin. 2013 gründete sie das Ensemble Extrakte für transtraditionelle musikalische Praxis und Forschung.


Melissa Cruz Garcia arbeitet mit optischen Mitteln, um neue Versionen von historischen Projektoren zu schaffen.

Aleksander Kolkowski verwendet Edison Phonographen, Grammophone oder Trichter, mit denen er Hör- und Klangobjekte schafft.

Matteo Marangoni erfindet und entwickelt Geräte, mit denen er Schalleigenschaften und Schallwahrnehmung erforscht.

Anne Wellmer arbeitet mit analogen und digitalen Medien als Künstlerin und Komponistin elektronischer und experimenteller Musik.


Julian Klein ist Komponist und Regisseur, künstlerischer Leiter der Gruppe a rose is sowie Direktor des Instituts für künstlerische Forschung, Berlin.

Daniel Kötter arbeitet als Regisseur, Filmemacher und Videokünstler mit besonderem Interesse an Mehrkanal-
Video-Installationen und alternativen Konzertformaten.

raumlaborberlin ist eine Gruppe für Architektur und Städtebau und  genre-übergreifend und interdisziplinär tätig. Projektbezogen arbeiten die Mitglieder mit Spezialisten anderer Professionen zusammen.

Juliane Beck, Berlin ist Kulturwissenschaftlerin und Dramaturgin und hat für mehrere (Musiktheater-)Produktionen von Daniel Kötter/Hannes Seidl als Regieassistentin und Dramaturgin gearbeitet.


Ein Gespräch zu diesem Projekt finden Sie hier.