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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Paradies der Kopfjäger / Positionen


Gespräch

Ein wesentliches Anliegen bei der Entwicklung der Ausstellung „Paradies der Kopfjäger“ war es, Mitglieder der heutigen Naga-Gesellschaft und ihre Perspektiven auf die Kultur ihrer Vorfahren einzubeziehen. Doch ist das auch gelungen? Auf Einladung des Humboldt Lab Dahlem sind zwei Gäste aus Nagaland nach Berlin gekommen, um die Ausstellung zu besuchen und sie mit ihren Machern zu diskutieren – eine Diskussion, die sich naturgemäß auch mit Museumspolitik im Allgemeinen beschäftigte.
Aufzeichnung: Dagmar Deuring

Michael Kraus: Womit wir hier zu tun haben, ist eine der Schlüsselfragen von Museumspolitik: Wie kann ein Museum komplexe Gesellschaften präsentieren? Wie möchten Mitglieder solcher Gesellschaften im 21. Jahrhundert dargestellt werden, wenn historische Objekte dieser Gruppen Teil von Museumssammlungen sind?Einige von Ihnen haben die Ausstellung jetzt zum ersten Mal gesehen. Was waren Ihre Eindrücke? Und für diejenigen, die sie entwickelt haben: Welche grundsätzlichen Ideen liegen ihr zugrunde? Pangernungba Kechu, Sie haben den Kurator Roland Platz während seiner Forschungen in der Region begleitet. Was ist Ihr erster Eindruck von der Ausstellung?

Pangernungba Kechu: Zunächst möchte ich das Humboldt Lab dazu beglückwünschen, dass es uns eingeladen hat, hier über unsere Eindrücke und Gedanken zu sprechen. Was die Ausstellung betrifft, überrascht mich deren Inhalt nicht, denn ich wusste ja schon eine Menge darüber. Doch ich bin sehr beeindruckt von der Art und Weise, wie sie gemacht ist, davon, wie sie die verschiedenen Aspekte des Begriffs und der Diskurse rund um die Kopfjagd darstellt.

Vibha-Joshi Parkin: Ich finde es sehr interessant, dass man so unterschiedliche Geschichten zu sehen bekommt: die Geschichte der Naga ebenso wie die Geschichte der Anthropologie und der Museumssammlungen. Und der Titel hat mich zum Nachdenken angeregt. Er spielt mit dem Wort Paradies, und ich nehme an, er wird Aufmerksamkeit erregen.

Roland Platz: Wir sind als Team auf den Titel gekommen, und ich mochte ihn auch deshalb, weil er etwas provokativ ist. Inzwischen bin ich nicht mehr sicher, ob es eine kluge Wahl war oder nicht. Die Idee für diese Ausstellung hatte ich, als ich das Video von Peter van Ham sah, in dem ein alter Mann über seine Erfahrungen spricht. Es hat mich berührt und mir gefiel die Idee, zu zeigen, wie Menschen – und gerade nicht die Wissenschaftler – über ihre Erfahrungen sprechen.

Zubeni Lotha: Als Roland mich nach Berlin einlud, wusste ich nicht, was mich erwartete. Der Titel hat mich irritiert. Aber die Gestaltung der Installation mit dem Zeitstrahl zum historischen Volk der Naga und mit den Stimmen von heute scheint mir erst einmal sehr schlüssig zu sein.

Edward Moon-Little: Eine meiner Hoffnungen in Bezug auf die Ausstellung war, dass sie ein anderes Bild von Nagas zeigt als das in traditioneller Kleidung mit einer Menge Federn. Und das tut sie. Eines der Bilder, die ich unbedingt in der Ausstellung haben wollte, kann man dort anschauen: ein Mädchen, das ihrem Großvater hilft, die traditionelle Kopfjägerausrüstung anzuziehen, und hinter ihm ein Bild des Letzten Abendmahls. Diese unbefangene häusliche Vertrautheit, das Christentum im Hintergrund, die Kopfjagd und die Weitergabe zwischen den Generationen – es hat mich gefreut, das zu sehen.

Tobias Sievers: Für Luxoom war die Ausstellung eine faszinierende Aufgabe und eine Herausforderung. Normalerweise entwickeln wir für die Besucher eine Geschichte mit einer ganz bestimmten Bedeutung. Doch in diesem Fall machen wir genau das Gegenteil, denn wir zeigen Momentaufnahmen aus verschiedenen möglichen Perspektiven, damit die Besucher einen eigenen Standpunkt entwickeln können und spüren, dass es immer auch andere Möglichkeiten gibt, Dinge zu betrachten.

Kraus: Zubeni und Panger, Sie kommen aus Nagaland. Da wir gerade von der Gegenwart sprechen: Welche Bedeutung hat die Kopfjagd für die Naga heute, im 21. Jahrhundert allgemein? Und wie ist Ihre persönliche Einstellung zu diesem Phänomen?

Kenhu: Kopfjagd existiert heute nicht mehr. Aber der Eigensinn, die souveräne Haltung, die sie zum Ausdruck brachte, die souveräne Verteidigung der eigenen Würde und Identität, ist immer noch weit verbreitet. Das ist auch immer noch etwas, mit dem jeder zu kämpfen hat.

Lotha: Für mich als Mensch, als Naga im 21. Jahrhundert, ist Kopfjagd ebenso fremd wie für Sie. Ich habe nun lange Zeit außerhalb von Nagaland gelebt. Aber dieser Aspekt unserer Kultur ist mir immer präsent. Er ist ein wichtiges Thema für mich, weil ich meine Gesellschaft fotografiere. In unserer christlichen Gesellschaft heute hat Kopfjagd keinen Platz. Es ist ziemlich einfach, sie als barbarisch abzulehnen. Doch in der Vergangenheit hatte sie eine andere Bedeutung. Heute leichtfertig darüber zu urteilen würde daher eher schaden, weil es uns davon abhielte, diese Kultur zu verstehen. Und ich glaube, dass diese Tradition uns auch gute Werte vermittelt hat: Gemeinschaftsgefühl, eine gewisse Würde, Werte, die in unserer politischen Situation notwendig sind.

Kraus: Wie die Ausstellung zeigt, gibt es ein großes Interesse von außen an der Kopfjagd der Naga. Was halten Sie von diesem Interesse? Wie geht es Ihnen damit?

Lotha: Wenn man das Wort Kopfjagd ausspricht, scherzen die Leute normalerweise: „Esst ihr die Köpfe eurer Feinde?“ – „Ja, natürlich, und ich werde mir jetzt deinen Kopf nehmen!“ (Gelächter) Sehr viele Anthropologen haben das Volk der Naga untersucht, und ich glaube, die Kopfjagd ist der Hauptgrund dafür. Ich persönlich sehe nicht, warum sie sich nicht dafür interessieren sollten. Aber aus diesem Grund ist auch eine Reihe von Klischees entstanden. Und das ist ein Bezugsrahmen, den ich tatsächlich gerne aufbrechen würde.

Joshi: Ich denke, wir müssen uns die verschiedenen Ebenen unserer Wahrnehmung von Kopfjagd bewusst machen. Sie haben zum einen damit zu tun, wie diese dokumentiert wurde. Warum zum Beispiel waren die britischen Kolonialbeamten so sehr daran interessiert, über Kopfjagd zu schreiben? Weil sie zeigen wollten, wie gefährlich ihre Arbeit war, um eine bessere Finanzierung durch die Regierung sicherzustellen und um Handelsrouten zu kontrollieren? Das hätte ihre Art der Beschreibung beeinflusst. Bei Fotografien darf man nicht vergessen, dass sie nicht ohne weiteres als Bildzeugnisse dienen können. Zum Beispiel ist es erwiesen, dass die auf einigen der Fürer-Haimendorf-Fotografien gezeigten nackten Frauen dazu überredet wurden, ihre Kleidung abzulegen, denn das hätten sie normalerweise nicht getan, um sich so zu zeigen.
Andererseits ist es eine Frage der Moral. Viele Naga erlebten den Ersten Weltkrieg am eigenen Leib, als sie gezwungen wurden, für die britischen Labour Corps in Frankreich zu arbeiten. Während des Zweiten Weltkriegs sahen sie, wie Dörfer bombardiert wurden und wie die japanischen und alliierten Truppen sich gegenseitig umbrachten. Sie werden sich gefragt haben, warum man von ihnen verlangte, die Kopfjagd einzustellen, die im Vergleich dazu unbedeutend war.

Kechu: Allein die Verwendung des Wortes Kopfjagd ist schon mit Vorannahmen religiöser Art belastet und beängstigend. Aber wir leben in einer Welt, in der wir versuchen, Grenzen zu überschreiten und unser Wissen zu erweitern – wie mit dieser Installation. Die Frage nach der Darstellung stellt sich auch allgemein. Das Museum kann natürlich nicht als Anwalt bestimmter Gruppen in politischen Auseinandersetzungen auftreten. Aber es gibt einige wichtige Aspekte in Bezug auf die Darstellung indigener Völker, von denen ich hoffe, sie werden am Samstag auf der Konferenz „Für immer Krise?“ diskutiert. Eine der Fragen ist: Warum sammeln europäische Museen Objekte, die zu einer Zeit zusammengetragen wurden, als indigene Völker überhaupt keine Macht hatten?

Platz: Für mich persönlich ist es schwer zu beschreiben, warum ich das Thema Kopfjagd gewählt habe. Es übt eine gewisse Faszination aus. Ich möchte dieses Phänomen verstehen, mehr darüber erfahren. Wichtig ist aber auch: Ich möchte darüber nicht moralisch urteilen. Und ich möchte die sehr reiche und faszinierende Kultur der Naga zeigen. Deshalb freue ich mich auch darauf, das Thema in einer komplexeren Präsentation für das Humboldt-Forum weiter zu vertiefen. Diese Kultur hat so viele interessante Facetten, wir sollten sie nie auf die Kopfjagd reduzieren.

Moon-Little: Ich glaube, das Sprechen über die Kopfjagd ähnelt in vielerlei Hinsicht der Art und Weise, wie die Briten den Nordosten allgemein betrachteten; sie suchten nach dem Exotischen und „sahen“ es. Als die Briten nach Assam kamen, interessierten sie sich sehr für tantrische Praktiken und Menschenopfer, in Mozoram suchten sie nach Sklavenräubern und in Nagaland nach Kopfjägern. Und irgendwie hat sich die Sache mit der Kopfjagd in Nagaland gehalten. Sie wirft nicht nur einen Schatten auf viele der Naga-Stämme, sondern auf alle Stammesgruppen im Nordosten, und das obwohl sie nicht nur bei den Naga, sondern im Nordosten insgesamt ziemlich unüblich war.

Joshi: Die britischen Kolonialbeamten, die Sie erwähnen, waren sehr wichtig, weil sie auch Anthropologen waren und die ersten Monografien verfasst haben. Und sie versuchten, dadurch Kontrolle über die Gemeinschaften zu erlangen, dass sie sie anthropologisch erforschten und verstanden. Auch weil sie sahen, dass Religion die Dorfgemeinschaften in vieler Hinsicht beeinflusste. Sie versuchten das Volk zu kontrollieren, um Zugang zu seinen natürlichen Ressourcen zu erhalten.

Lotha: Als Fotografin betrachte ich die Darstellung und Selbstdarstellung von Menschen. Daher haben sich mir Haimendorfs Fotografien, die er in den 1930er-Jahren aufnahm, sehr stark eingeprägt. Diese Fotos bilden den Bezugsrahmen für jeden Anthropologen und Fotografen, der sich danach mit den Naga beschäftigt hat. Und das ist problematisch. Ich bin sicher, dass das Zusammentreffen von Haimendorf und den Naga sehr komplex war. Aber diese Komplexität kommt nicht heraus. Und das ist für mich deshalb von Bedeutung, weil ich auch in einem Land lebe, dessen Kultur sehr, sehr vielfältig ist. Aber wir sind in diesem primitiven Bild gefangen, weil Haimendorfs Fotografien sich so tief in die Vorstellung der Menschen eingegraben haben. Und es ist sehr schwer, daraus auszubrechen.

Kraus: Was heißt das für die Rolle eines Museums? Glauben Sie, dass eine Ausstellung über Kopfjagd hilfreich ist, um Interesse an der Naga-Kultur zu wecken?

Lotha: Kopfjagd war lange Zeit ein Tabu, und ich glaube, dass es wichtig ist, darüber zu sprechen. Und wenn das zu einem größeren Interesse an der Naga-Kultur führt – was könnte ein besserer Grund sein, um über Kopfjagd zu reden! Aber was die Museen betrifft – ich hoffe, sie werden mir helfen, meine innere Einstellung zu ändern. Zurzeit habe ich, wenn ich eine Ausstellung über eine bestimmte Kultur besuche, immer das Gefühl, als würde ich in Kisten gehaltene Exemplare einer Spezies angucken wie Tiere im Zoo. Dieses Gefühl habe ich, obwohl ich selbst aus einer Ethnie komme, die eine sehr ausgeprägte Kultur hat. Man betrachtet sie wegen ihres exotischen Werts. Und ich hoffe, dass die Museen das überwinden können.

Joshi: Dennoch haben Museen eine bestimmte Aufgabe. Vor einigen Jahren habe ich im Pitt Rivers Museum in Oxford zu Naga-Textilien recherchiert. Als ich die Forschungsfotos Lotha-Frauen in Nagaland zeigte, waren sie sehr beeindruckt von der Vielfalt und Schönheit der Textilien, die ihre Vorfahren hergestellt haben und die nicht mehr gewebt werden. Diese Sammlungen zeigten also eine sehr reiche Kulturgeschichte. Sammler wie Bastian, der Gründer des Ethnologischen Museums in Berlin, versuchten ein ganzheitliches Bild davon zu vermitteln, wie eine Gemeinschaft in einer bestimmten Zeit lebte, und das spiegelt sich in der Sammlung der zeremoniellen und der Alltagsgegenstände. Wenn wir diese Objekte nun zu den Gesellschaften dort zurückbringen, benutzen sie sie manchmal, um etwas aus ihrer früheren animistischen Kultur wiederzubeleben, aber nun auf sehr säkulare Weise. Sie verstehen diese Objekte als ihr kulturelles Erbe.

Kraus: Das ist ein wichtiger Punkt. Wir sprechen so viel über kulturelles Erbe oder sogar gemeinsames kulturelles Erbe. Glauben Sie, dass es legitim ist, von einer Museumssammlung an Naga-Objekten als einem „gemeinsamen kulturellen Erbe“ zu sprechen?

Kechu: Ich finde ja. Auch wenn es natürlich eine Folge unserer besonderen Geschichte ist, dass die Naga keine solche Sammlung besitzen, wie Sie sie haben.

Platz: Da haben Sie recht. Bis heute gab es da immer ein Ungleichgewicht. Das müssen wir uns ehrlicherweise eingestehen und im Gedächtnis behalten. Auch das Humboldt-Forum wird das ganz bestimmt nicht vergessen. Doch meine Erfahrung ist, dass junge Leute in Nagaland sich oft nicht für diese alten Gegenstände interessieren. Daher denke ich, wir sollten sie als Menschheitserbe verstehen. Und wir sollten Formen des Austauschs schaffen, wie dieses Treffen zum Beispiel oder wie die Datenbank zu Venezuela, wo Menschen aus der Ursprungsregion mit den Objekten arbeiten können.

Lotha: Ich glaube nicht an diese Idee vom gemeinsamen Erbe. Und zwar wegen des Ungleichgewichts zwischen den indigenen Völkern und den Sammlern mitsamt ihren Gesellschaften, damals ebenso wie heute: Naga wissen nichts über die Menschen in Deutschland. Es ist eine Einbahnstraße.

Kraus: Wie können wir diese Situation verbessern?

Kechu: Von einem radikalen Standpunkt aus betrachtet, müssten wir erst einmal die Museen in Europa niederreißen und das Konzept von Feldarbeit in entfernten Weltgegenden aufgeben! Aber ich glaube, tatsächlich ist es eine Frage der Museumspolitik und  -finanzierung. Ob Museen das Geld haben, Treffen wie dieses durchzuführen. Und ob sie etwas über die Ängste und Sehnsüchte der Menschen erzählen können. Im Zusammenhang mit den Naga wäre das nicht möglich, ohne Indien zu erwähnen, dessen Regierung die Existenz von indigenen Völkern leugnet. Aber ich weiß nicht, wie man das in einer Ausstellung umsetzen könnte.

Platz: Ich habe gelegentlich die Frage gehört: Warum befassen Sie sich mit Totenschädeln, warum beschäftigen Sie sich nicht mit den Lebenden? Tatsächlich würde ich auch gerne eine Ausstellung über das zeitgenössische Nagaland machen.

Moon-Little: Es gibt da vielleicht einen interessanten Kontrast. In Kohima wird ein neues Museum gebaut, das einem Nicht-Christen gewidmet ist, der im 20. Jahrhundert eine religiöse Bewegung anführte, Rani Gaidinliu. Und in Nagaland gibt es einen großen Streit darüber, was die Naga-Identität ausmacht. Zwar ist Kopfjagd ein umstrittenes Thema, doch die eigentliche Kontroverse für Museen in Nagaland ist viel eher lokal, viel stärker mit der lokalen Politik, nationalistischen Hintergründen und religiösen Differenzen verbunden.

Joshi: Was ist unsere Rolle als Anthropologen und Ausstellungsgestalter? Als Person, die Anthropologie studiert und lehrt, versuche ich auch zu verstehen, warum im 19. Jahrhundert all diese Dinge gesammelt wurden; welche Absicht stand dahinter? Es ging auch darum zu verstehen, was Menschsein bedeutet. Wie verschiedene Völker alltägliche Probleme lösen. Wie unterschiedlich und gleichzeitig ähnlich wir sind. In dieser Anthropologie gibt es also auch eine sehr liberale Vorstellung vom Menschen, die in unseren schwierigen Zeiten ebenfalls wichtig sein könnte.

Lotha: Ich möchte Tobias als „Redakteur“ der Ausstellung fragen: Sie haben sich mit einer Sache beschäftigt, die Ihnen völlig unbekannt war, wie sind Sie vorgegangen, um all diese Perspektiven zusammenzufügen?

Sievers: Wir versuchen immer einen Weg zu finden, um den Besuchern einen Zugang zu ermöglichen. Zum Beispiel wollten wir etwas in der Mitte platzieren, das ihre Aufmerksamkeit auf sich zieht – und entschieden uns für das Video, das Roland bereits erwähnt hat. Eine wichtige Entscheidung war: Die Ausstellung sollte zeitgenössisch sein, aber einen temporären Eindruck machen, wie ein Arbeitsplatz, der Arbeitsplatz eines Anthropologen. Es sollte nicht wie etwas Fertiges oder Abgeschlossenes aussehen. Von dieser Idee ausgehend sind wir auf den Raum mit seinen vielen Perspektiven gekommen. In Nagaland ist die Kopfjagd verschwunden, aber irgendwie immer noch präsent, in den Werten, in den Witzen zum Beispiel, die Sie erwähnt haben; so ähnlich haben wir versucht, diese verschiedenen Ebenen durch die Dokumente und die flexiblen Elemente im Raum fühlbar zu machen.
Und mit den Spiegeln wollten wir den Besuchern das Gefühl geben, dass das nicht sehr weit von ihnen selbst entfernt ist.

Kraus: Ich danke Ihnen allen dafür, dass Sie hergekommen sind und an diesem aufschlussreichen Gespräch teilgenommen haben. Wir hoffen, dass der Dialog zwischen dem Humboldt-Forum und dem Volk der Naga in Zukunft fortgeführt wird, dies war ein vielversprechender Anfang.

Übersetzung aus dem Englischen von Sylvia Zirden


Dr. Vibha Joshi Parkin ist Gastdozentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Abteilung für Ethnologie der Universität Tübingen sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Gesellschafts- und Kulturanthropologie der Universität Oxford, wo sie auch promovierte. Ihre Forschungsschwerpunkte sind religiöse Traditionen, Heilverfahren, Konversion zum Christentum, ethnografische Museumssammlungen und ihre Geschichte sowie die Kulturgeschichte der Naga-Völker und ihre Eigendarstellung.
Vibha Joshi hat das Ausstellungsteam bei der Entwicklung des Installationskonzepts beraten und bei Feldkontakten in Nagaland unterstützt.

Dr. Pangernungba Kechu ist außerordentlicher Professor für Gesellschaft, Ethik und kontextuelle Theologie am Orientalischen theologischen Seminar in Nagaland. Kechu promovierte am Theologischen Seminar in Princeton, USA, im Bereich Religion und Gesellschaft. Er beschäftigt sich mit Kunst, mit der Organisation von Gemeinschaften und mit Forschungen zur Bildungsförderung sowie zu Maßnahmen für den Wandel in Gebieten mit indigener Identität und Politik.
Pangernungba Kechu, selbst Ao-Naga, hat Roland Platz’ Feldreise nach Nagaland organisiert und wählte die besuchten Orte aus. Dank seiner Dolmetschertätigkeit wurden die Interviews zu intensiven Diskussionen.

Zubeni Lotha ist eine Fotografin aus Dimapur in Nagaland. Ihre Arbeiten erschienen in Outlook Traveller und The Caravan, und sie hat im New-York-Times-Blog und im Random-House-Blog veröffentlicht. Außerdem berät sie als Fotografin das UNDP. Als Schwerpunkt ihrer Arbeit erforscht sie Vorstellungen von Repräsentation, Klischee, Differenz und Konflikt in Nagaland allgemein und insbesondere in Dimapur.

Edward Moon-Little ist in Oxford ausgebildeter Anthropologe, der sich für Museen und visuelle Kultur interessiert. Er forschte zunächst in Zentralindien über die Adivasi-Identität und  Missionsgeschichte und wandte sich dann der Untersuchung von Museen und Indigenität in Nordostindien zu. Daneben beschäftigt er sich mit sozialen Medien und Identität, Open Data und Technologien im Umgang mit kulturellem Erbe.
Edward Moon-Little reiste mit Roland Platz durch Nagaland und nahm viele der Fotos auf, die in der Ausstellung gezeigt wurden.

Dr. Roland Platz arbeitet seit 2009 als Kurator für Süd- und Südostasien am Ethnologischen Museum in Berlin. Er hat in Freiburg Ethnologie und Soziologie studiert und umfangreiche Feldforschung in Nordthailand betrieben. Anschließend arbeitete er viele Jahre freiberuflich als Universitätsdozent, Coach und Journalist. Sein Interesse gilt vor allem den Minderheiten in Südostasien und Fragen der Identität.

Tobias Sievers ist Creative Director bei Luxoom Design Berlin/Shanghai. Er hat an der Universität der Künste Berlin Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation studiert, viele Jahre in Asien gearbeitet und unterrichtet neben seiner gestalterischen und kreativen Arbeit als außerordentlicher Professor für digitale Gestaltung am Shanghai Institut für Design der Chinesischen Hochschule der Künste.

Dr. Michael Kraus, der die Diskussion moderiert hat, ist Ethnologe und Ausstellungskurator sowie Akademischer Rat an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

Dr. Dagmar Deuring ist Lektorin und Autorin. Für das Humboldt Lab Dahlem betreut sie gemeinsam mit Christiane Kühl und Barbara Schindler die Online-Dokumentation der Projekte.

Das Gespräch wurde im September 2015 in Berlin geführt.


Trophäenkultur der Naga

von Heike Gäßler

Die Kopfjagd ist ein weltweit verbreitetes Ritual der Menschheitsgeschichte. In einigen Kulturen wurde es bis ins 20. Jahrhundert praktiziert, so in mehreren Regionen Süd- und Südostasiens wie in Kalimantan (Indonesien), auf den Philippinen und in Myanmar, aber ebenso in Neuguinea, Taiwan und Südamerika. Auch die Naga sind für ihre Kopfjagd bekannt. Mit einer Bevölkerung von rund drei Millionen Menschen sind sie im Nordwesten Myanmars, im Nordosten Indiens und dort vor allem in Nagaland angesiedelt. Hier leben bis zu 30 sprachlich und kulturell sich unterscheidende Ethnien, die sich zu den Naga zählen und die alle die Kopfjagd als gemeinsames Kulturmerkmal aufwiesen. Im südlichen Nagaland bei den Ao und Angami Naga wurde die Kopfjagd zum Teil vor über 100 Jahren beendet. Im Norden bei den Konyak und Phom ist das Ritual bis in die 1970er Jahre, vereinzelt bis in die 1990er Jahre dokumentiert.

Die Installation „Paradies der Kopfjäger“ spürt dem Phänomen der Kopfjagd nach und unternimmt den Versuch, der individuellen und gesellschaftlichen Bedeutung des Rituals näherzukommen. Sie beleuchtet mehrere Zeiträume, von Beginn des Erwerbs der Sammlungsgegenstände ab 1875 über Film- und Fotodokumentationen um 1936, in welchen noch eine ethnologisch-(eurozentristische) Betrachtungsweise von „außen“ bezeichnend ist, bis hin zu 2014 entstandenen Ton-, Video- und Fotoaufnahmen als Originalbeiträge aus der Region. Besonders aufschlussreich ist dabei das zentral platzierte Interview mit einem alten Kopfjäger (Film: Peter van Ham, 2004), der über seine eigenen Kopfjagderfahrungen als junger Krieger, den damaligen gesellschaftlichen Stellenwert der Kopfjagd und über seine heutige Einschätzung hierzu spricht. Aber auch die zum Christentum konvertierte Nachfolgegeneration, welche die Kultur der Ahnen unter dem Blickwinkel ihrer neuen Glaubensrichtung betrachtet und zugleich die traditionellen Werte der Vorväter anerkennt, kommt zu Wort.

Die gewählten RepräsentantInnen sprechen dabei auch mögliche Konflikte und Identitätsverluste an, die sich bei einem fremdbestimmten kulturellen Wandel ereignen können. Im Falle der Naga galt neben dem Verbot der Kopfjagd durch die britische Regierung vor allem die zumeist von amerikanischen MissionarInnen vorangetriebene Christianisierung als einschneidendes Ereignis, das einer Kultur von außen übergestülpt wurde – und damit zugleich ihre tradierten Werte, wie jene der Kopfjagdrituale, in Frage stellte. So befinden sich die Nachfolgegenerationen der Kopfjäger in einem Spagat zwischen der Würdigung der eigenen Kultur – und gleichzeitig ihrer Negierung.

In den Zeiten der Kopfjagd machte sich eine Gruppe junger Krieger aus einem bestimmten Clan in ein feindliches Dorf auf, hin und wieder gab es auch größere Feldzüge, die die Angehörigen der Opfer wieder mit Racheangriffen und Blutsfehden über Generationen hinweg beantworteten. Die Männer wurden mittels religiöser Zeremonien und spezieller von den Frauen zubereiteter Speisen auf ihren Weg vorbereitet und mit Tänzen gefeiert. Wer auf der Kopfjagd erfolgreich war, wurde als Held geehrt, als Beschützer der Gemeinschaft. Abgetrennte Köpfe galten bei den Naga als Beweisstücke für den Erfolg eines Kriegers. Als Trophäen konnten im Kampf erworbene Männerköpfe, aber auch jene von Frauen und Kindern erbeutet werden. Für junge Männer war die Kopfjagd zugleich ein Initiationsritual ins Erwachsenendasein.

Ausgestellt wurden die freigelegten Schädel zumeist im morung, dem Männerhaus der Naga, oder auf einem speziellen Kopfbaum des Clans. Auch Kopfmotive als Embleme an Ketten, Körben oder Waffenhalterungen sowie Tätowierungen wiesen auf die „Heldentaten“ hin und wurden öffentlich zur Schau getragen.

Die Installation, die im Zuge der Planungen für das Humboldt-Forum entstand, arbeitet in der räumlichen ebenso wie in der konzeptionellen Gestaltung mit Überlagerungen. Im Vordergrund sind reale Gegenstände wie Haumesser, sogenannte Daos, die auch als Kopfbeile dienten, zu sehen, ebenso wie Kopfjagdkörbe und Kriegerschmuck aus Menschen- und Ziegenhaar. Sie werden durch umfassendes Text- und Bildmaterial ergänzt. Die Gegenüberstellung mehrerer Epochen mit ihren unterschiedlichen Betrachtungen und ihrem jeweils spezifischen Blick auf das Phänomen der Kopfjagd zeigt sich in der ästhetischen Umsetzung in einer Verflechtung und Ineinanderdrängung der Ausstellungselemente. Aufgehängt an Seilen, wie Fragmente unterschiedlicher Lebenswelten einer Kultur mit ihren verschiedenen Stimmungsbildern, Gedankensplittern, Bewusstseinsstufen und emotionalen Zugängen, entsteht so aus den Einzelpositionen und Versatzstücken ein assoziatives Gesamtbild, das je nach Perspektive der Betrachtenden mal in die eine, mal in die andere Richtung schwenken kann.

Transparenz wird dabei zum wesentlichen Prinzip der Darstellung. Die Leichtigkeit der Einzelfragmente, die im Raum schweben und von Vorder- und Rückseite sichtbar werden, und parallele Betrachtungen etwa verschiedener Filmsequenzen aus unterschiedlichen Zeiträumen zulassen, unterstreichen den inhaltlichen Fokus der Installation, in welchem die Zerrissenheit der heutigen Naga bezüglich ihrer eigenen Position zur Kopfjagd deutlich wird. Um für das Publikum auch den eigenen Blick mit ins Bewusstsein zu rücken, wurden Spiegel als Gestaltungselemente in die Installation integriert. Sie fordern auf, die jeweils eigene, von außen kommende Sichtweise mit zu bedenken, die Einfluss auf den bereits erfolgten, den derzeitigen und den künftigen Umgang mit dem Thema Kopfjagd hatte bzw. haben wird. Der Titel der Installation erschließt sich aus einem Gedenkstein vom 25. Dezember 2007, der in Molungkimong, dem ersten christianisierten Ort in Nagaland, zu finden ist:

„The First Gospel Gate into the Headhunters Paradise – Foundation Stone Laid by REV. O ALEM, Executive Secretary ABAM IMPUR.“

Das amerikanische Baptistenehepaar Clark hatte in diesem Ort 1878 eine christliche Missionsstation errichtet. Im Zuge der sich ausweitenden, vorwiegend von Amerika ausgehenden Christianisierung als Element eines kolonialen Denkansatzes, nach welchem den „Wilden“ Kultur nahegebracht werden sollte, sowie durch das Verbot der Kopfjagd durch die britische Kolonialregierung, setzte ein allmählicher gesellschaftlicher Wandel bei den Naga ein.

Im Interview berichtet so auch der Älteste des Yongjong-Clans der Phom-Naga, dass er heute glücklicher sei als noch als Kopfjäger. Zuvor spricht er gemeinsam mit seiner Frau jedoch mit großer Klarheit, Ruhe und Offenheit über die Kopfjagdzeit.

Aus der Nachfolgegeneration erzählt die baptistische Lehrerin Assang von der Transformation des traditionellen Naga-Bewusstseins in die heutige Zeit. Sie beschreibt, dass sie heute nicht mehr Kopfjagd betreibe, dafür aber Seelen jage.

Und Imnakum Zuk Jamir formuliert in seinem Interview mit Roland Platz, wie wichtig es sei, die eigenen Wurzeln zu kennen: „Wenn man seine Wurzeln verliert, dann verliert man seine Identität.“

Aus den Textfragmenten, Bildern und Gegenständen aus unterschiedlichen Kontexten hat Roland Platz gemeinsam mit Luxoom somit eine Installation voller Widersprüche gestaltet. Es sind Widersprüche, wie sie auch in der Gesellschaft existieren. Die Nachfahren stellen sich die Frage, wie sie mit dem Kulturgut ihrer Ahnen umgehen sollen. Einerseits ist hier der Stolz des Kriegers, die positive Kraft, wie sie in der eigenen Kultur gesehen wurde, noch wahrnehmbar, andererseits leben die Naga mit dem durch die Kolonialisierung und Christianisierung auferlegten Wertesystem. Hinzu kommt eine neue, durch die zunehmende Globalisierung entstehende und sich ausweitende Perspektive. Der in der Installation gewählte vorsichtige und zugleich differenzierte Blick auf den Gegenstand ermöglicht es dem Publikum, sich vielschichtig zu informieren und sich dem Thema der Kopfjagd auf unspektakuläre Weise zu nähern.

Dass das Aufgreifen dieser Thematik in der Installation durchaus auch Sprengstoff enthält, zeigt das Beispiel des Wissenschaftlers Tezenlo Thong, selbst Naga. Er beschreibt die Kopfjagd als „Fantasiekonstrukt“ der westlichen Welt und führt an, es gäbe keine Nachweise dazu, dass Kopfjagd überhaupt stattgefunden hätte, da nie jemand „dabei“ gewesen sei. Die mögliche Sorge der Naga vor einer Abwertung und Ausgrenzung dürfte sich dabei bereits aus ihrer Lebenserfahrung als kolonialisierte Kultur speisen.

Die Installation der Naga, die derzeit in einem engen, abgegrenzten Raum im Ethnologischen Museum in Berlin präsentiert wird, würde man sich noch großzügiger wünschen, um das kleinformatige Bild- und Textmaterial sehen und erfassen zu können. Die einzelnen Elemente der räumlich dicht gehängten Installation rücken den Betrachtenden recht nahe auf den Leib. Auch die Hörbeispiele überlagern sich im Ton mehrfach. So finden die ohnehin stark zurückgedrängten Minderheitenkulturen hier zwar Beachtung – aber bisher nur auf engstem Raum.


Dr. Heike Gäßler ist Theaterwissenschaftlerin. Als Asienexpertin ist sie seit 1996 auf den europäisch-asiatischen Kulturaustausch spezialisiert. Ihre Lehraufträge brachten sie u. a. an die Universität Wien, die Universität der Künste Berlin, HZT – Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz und an die EuroAkademie, Berlin. Sie arbeitet international als Kulturjournalistin, Festivalmanagerin, Regisseurin und Autorin.