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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Wissen erzählen / Projektbeschreibung

Zu jedem Objekt eine Geschichte

von Janina Janke

Die Idee zu diesem Humboldt Lab-Projekt entstand während eines sogenannten Kamingesprächs im Herbst 2011, bei dem das Humboldt-Forum und sein Konzept mit Persönlichkeiten aus dem Kulturbereich diskutiert wurden. Ein Kurator des Ethnologischen Museums in Berlin-Dahlem führte zu diesem Anlass durch „sein“ Magazin. Die Führung entwickelte sich zu einer mobilen Erzählung, da er zu jedem Objekt eine individuelle Geschichte kannte. Der Hinweis, dass im Ethnologischen Museum bald ein Generationswechsel bevorstehen und die ausscheidenden KuratorInnen das Wissen von Jahrzehnten mit in den Ruhestand nehmen würden, veranlasste Martin Heller zur Projektidee von „Wissen erzählen“.
Nicht allen Senior-KuratorInnen gefiel die Vorstellung, ihr Wissen vor laufender Kamera preiszugeben. Peter Bolz jedoch, Kurator der Nordamerika-Sammlung und somit einer beim Publikum sehr beliebten Abteilung, nahm die Herausforderung kurz vor seiner Pensionierung an und wurde zum Zentrum des filmischen Porträts „Wissen erzählen“. Sein in über 25 Jahren erworbenes Fachwissen, seine Geschichten sowie sein persönlicher Werdegang als Wissenschaftler wurden anhand der Sammlung und ihrer Exponate filmisch dokumentiert und für nachfolgende Generationen von WissenschaftlerInnen und MuseumsbesucherInnen bewahrt.

Im Rahmen einer Ausschreibung erhielt die Produktionsfirma Filmgestalten den Zuschlag für die Realisierung des Projekts. Von Ende September bis Anfang November 2012 bewegte sich ein kleines, flexibles Team (Regie, zwei Kameras, Ton) gemeinsam mit dem Ethnologen Peter Bolz und seinen Erzählungen durch die mit 30.000 Exponaten größte Nordamerika-Sammlung Europas. Vor der praktischen Umsetzung von „Wissen erzählen“ wurden verschiedene Absprachen mit allen direkt oder indirekt Beteiligten des Museums getroffen: mit der Leitung, den Aufsichten, VermittlerInnen und RestauratorInnen. Eine Volontärin der Nordamerika-Abteilung übernahm die Koordination zwischen dem Haus, dem Humboldt Lab und dem Filmteam. Parallel dazu stimmten sich die Regisseurinnen (Janina Janke und Franziska Seeberg) mit dem Kurator über den Verlauf und die Inhalte der geplanten 20 Drehtage ab. Gemeinsam wurden vier Themenfelder für die Filmrecherche ausgewählt: die im Jahr 1999 von Bolz kuratierte Dauerausstellung „Indianer Nordamerikas. Vom Mythos zur Moderne“, die Sonderausstellung „Indianische Moderne. Kunst aus Nordamerika“, eine Auswahl von Objekten im Magazin sowie seine persönliche Feldforschung bei den Plains-Indianern. Heraus kam ein „Ad-hoc-Drehbuch“, das dem Team als ungefährer Wegweiser durch die Museumsräume diente. Ungeplant ergab sich noch eine Expedition in die DEFA-Indianerfilm-Welt und eine Begegnung mit dem „Winnetou des Ostens“, dem Schauspieler Gojko Mitić.

Von Nordamerika nach Dahlem

Da die in der Nordamerika-Sammlung ausgestellten cirka 600 Gegenstände – Bisonroben, Masken, Felle, Skulpturen, Körbe, Fotografien und vieles mehr – nur ein Bruchteil dessen sind, was außerdem im Magazin des Museums lagert, stellten sich folgende Fragen: Wie kam es zu dieser Auswahl und ihrer Struktur? Welches waren Objekte, die Peter Bolz für besonders wichtig und repräsentativ erachtete? Welche Gegenstände waren ihm ans Herz gewachsen und warum? Ausgehend von diesen Fragen bewegte sich das Filmteam mit Peter Bolz von Raum zu Raum, von Vitrine zu Vitrine. Das Fachwissen des Wissenschaftlers stand im Zentrum, weil es sowohl Zeugnis seiner privaten Biografie als auch von allgemein-kultureller Prägung war und weit über die in Katalogen üblicherweise abgebildeten „objektiven“ Fakten hinausging. Wichtig war zudem zu erfahren, was Peter Bolz zu einem Gegenstand aus ethnologisch-wissenschaftlicher Perspektive erzählte und welche Konnotation dasselbe Objekt im museumsgeschichtlichen Zusammenhang erhielt. Und welche Geschichten und Anekdoten er zu erzählen wusste, wenn er das Exponat nicht nur in seiner kulturhistorischen Relevanz betrachtete, sondern auch in Verbindung zu seinem Leben. Vor dem Hintergrund der von ihm kuratierten Sonderausstellung über moderne indianische Kunst erzählte Bolz von seinem persönlichen Werdegang: als Jugendlicher im Indianer-Club, seinem Grafik-Design Studium und das dabei aufkeimende Interesse für indianische Kunst, schließlich seine Ankunft im Ethnologischen Museum in Berlin und die erste Begegnung mit seinem Vorgänger Horst Hartmann. Daraufhin begleiteten wir Peter Bolz in einen anderen wichtigen Museumsraum seiner beruflichen Laufbahn: sein Büro. Der Wissenschaftler blätterte hier durch seine privaten Fotoalben aus den 1980er Jahren, Belege seiner Feldforschung bei den Plains-Indianern. Angeregt von den Erinnerungen an seine Reisen, sprach Bolz über persönliche Begegnungen und Freundschaften mit Indianern auf den Reservationen und ihre heutigen problematischen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Auch während des Drehs in der Studiensammlung kam es immer wieder zu Situationen, in denen spontane „Erkenntnismomente“ aufschienen und das komplexe Netzwerk der subjektiven Wissenswelt eines Menschen zutage treten ließen.

Während des Filmdrehs wurde ein detailliertes Regiebuch geführt, in dem Datum, Thema, Raum, Clip-Nummer, Time-Code der Kameras und die besprochenen Objekte genau verzeichnet wurden. Diese Aufzeichnungen waren unersetzlich für den Filmschnitt und für die Bewältigung von 42 Stunden Rohfilmmaterial. Neben den Filmdrehs mit Peter Bolz wurden die besprochenen Objekte und Räume in ausgesuchten Einstellungsgrößen nachgedreht. So wurde Material zur Unterlegung seiner Stimme generiert und die Möglichkeit der genauen filmischen Betrachtung der Exponate sowie der sie umgebenden Räumlichkeiten gegeben. Von Dezember 2012 bis Februar 2013 arbeitete die Cutterin Anja Keyßelt gemeinsam mit den beiden Regisseurinnen an „Wissen erzählen“. Es entstand ein Filmdokument über den persönlichen Wissensschatz des Kurators Peter Bolz von netto 27,5 Stunden, organisiert in 166 Clips, deren Einzeltitel auf einer Datei extra gelistet sind. Um mit dem Material trotz des großen Umfangs künftig sehr gezielt arbeiten zu können, sind die Cliplängen ähnlich verzeichnet wie Schlagworte zu besprochenen Themen oder Objekten. Während der Laufzeit der Probebühne 2 wurden ausgewählte Filmclips auf zwölf Monitore aufgeteilt und auf einem langen Tisch präsentiert. Technische Möglichkeiten, wie etwa eine datenbankgestützte freie Auswahl der Clips, waren hier nicht vorgesehen: Die Installation sollte in erster Linie einen umfänglichen Eindruck vom Gesamtinterview vermitteln.

Lebendiges Wissen

Das digitale Filmmaterial wurde gänzlich dem Archiv für Visuelle Anthropologie des Ethnologischen Museums übergeben und in der museumsinternen Datenbank erfasst. War ursprünglich geplant, dieses Filmstück im Sinne eines „Sammlungsobjekts höherer Ordnung“ für das Archiv anzulegen, entstanden im Herstellungsprozess weitere Ideen der Verwendung – die Nutzung als Guide in den Schaudepots des zukünftigen Humboldt-Forums, die gezielte Verknüpfung von Clips mit Objekteinträgen in der Datenbank des Ethnologischen Museums bzw. auch in der Ausstellung selbst oder auch auf der Website. Die filmische Interviewreihe „Wissen erzählen“ ist sowohl eine Bestandsaufnahme der Nordamerika-Sammlung als auch ein individuelles Porträt von Peter Bolz als Ethnologe, Sammler und Kurator seiner Zeit in Berlin. Als solches fungiert es als eine Art Prototyp, dessen Einsatz vielfältig denkbar und modellhaft – auch für andere Museen – sein kann.


Janina Janke ist Bühnenbildnerin und Regisseurin. Seitdem sie die Künstlerformation OPER DYNAMO WEST im Jahr 2006 mitbegründete, setzt sie sich mit markanten Gebäuden und Räumen in Berlin und anderen Städten auseinander. Sie konzipiert und realisiert Rauminterventionen, Theaterprojekte und Dokumentationen an der Schnittstelle von Kunst, Architektur und Wissenschaft. Von 2011 bis 2015 ist Janke Teilnehmerin des durch den österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) geförderten KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen verbindenden Forschungsprojekts „andere räume – knowledge through art“.


Dr. Peter Bolz
Nach dem Studium der Visuellen Kommunikation in Mainz, studierte Bolz Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und promovierte 1985 mit einer Studie zur modernen Reservationskultur der Oglala-Sioux (Lakota) in South Dakota. Ab 1986 war er wissenschaftlicher Museumsassistent am Ethnologischen Museum Berlin, ab 1989 bis zu seiner Pensionierung Ende 2012 zunächst wissenschaftlicher Mitarbeiter, dann Kustos und zuletzt Leiter der Sammlung Ethnologie Nordamerikas. Neben vielfältigen Publikationen zu Kunst und Ethnologie der Indianer Nordamerikas sowie zur Geschichte des Ethnologischen Museums und der Mitarbeit an verschiedenen Sonderausstellungen (z.B. 2012 „Indianische Moderne. Kunst aus Nordamerika“) konzeptionierte Bolz die 1999 eröffnete Dauerausstellung des Ethnologischen Museums „Indianer Nordamerikas. Vom Mythos zur Moderne“.


Ein Gespräch zu diesem Projekt finden Sie hier.