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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Objektbiografien / Projektbeschreibung

Erprobte Methoden, neue Kollaborationen und veränderte Blickrichtungen

von Verena Rodatus und Margareta von Oswald

Die Frage der Provenienz von Objekten im Ethnologischen Museum Berlin begleitet die Arbeit des Humboldt Lab Dahlem seit Anbeginn. Auch von der Fachöffentlichkeit intensiv gefordert, bildet die Offenlegung der Sammlungsgeschichte einiger Gegenstände, die teilweise durch gewaltvolle Aneignung in das Berliner Museum gelangten, einen eigenen Schwerpunkt innerhalb der Planungen für das Humboldt-Forum. Mit dem „Springer“-Beitrag „Surinam/Benin“ und dem Projekt „Bedeutungen schichten“ präsentierte das Humboldt Lab bereits zwei mögliche Herangehensweisen an diese Fragen. Das dritte Projekt „Objektbiografien“ entstand aus der Idee, über die eigentliche Provenienzforschung hinaus zwei weitere Aspekte in den Blick zu nehmen: Welchen Zuschreibungen unterlagen die Objekte im hiesigen Museumskontext? Und was bedeutet ihr Fehlen in den – heutigen – Herkunftsgesellschaften? Mit Beispielen aus der 75.000 Exponaten umfassenden Afrika-Sammlung wollten wir die Deutungshoheit von Museen und deren Kategorisierungen hinterfragen und dabei mit afrikanischen Wissenschaftlern sowie mit VertreterInnen der kritischen Museumskunde kooperieren. Konkret arbeiteten wir mit Figuren aus der heutigen Republik Benin (sogenannte „Bocios“), einem Figurenpaar aus dem historischen Königreich Kom (heute in Kamerun) sowie mit einem Hocker des sogenannten „Buli-Meisters“ aus dem historischen Königreich Luba (heute in der Demokratischen Republik Kongo).

Spurensuche und Recherche

Als narratives Element der Ausstellung diente uns der Ansatz der Objektbiografie, der im akademischen Feld in den letzten Jahrzehnten vermehrt diskutiert und angewandt wird, nämlich dem „bewegten Leben“ der Objekte nachzugehen: Woher kommen sie? Wie sind sie nach Berlin gelangt? Auf welche Weise haben sie den Besitzer gewechselt – durch Tausch, Kauf, Plünderung oder als Geschenk? Wie wurden sie schließlich im Berliner Museum aufgenommen, beschrieben, behandelt und ausgestellt? Die Forschungsmethode ermöglichte uns zweierlei: zum einen das Augenmerk auf die Sammlungsgeschichte der Objekte zu legen, vor allem im Kontext des deutschen Kolonialismus. Zum anderen den Bedeutungswandel der Dinge offen zu legen, denn im Laufe der Zeit haben sich museale Ordnungs- und Kategorisierungssysteme ethnografischer Objekte stark verändert: Ihr Status variiert je nach Ausstellungsort und -zeitpunkt zwischen Kunst- und Kulturobjekt und trägt dazu bei, welcher symbolische und materielle Wert ihnen zugeschrieben wird.

Das ausgewählte Figurenpaar aus dem Königreich Kom im Kameruner Grasland und der Hocker des sogenannten „Buli-Meisters“ aus dem historischen Königreich Luba sind sehr prominente Beispiele der Sammlung, die in der Hochzeit des deutschen Kolonialismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts in das Ethnologische Museum nach Berlin kamen. Neben der Sammlungsgeschichte interessierte uns auch ihre Ausstellungshistorie, und so recherchierten wir nicht nur in Sammlerakten, Reiseberichten und Inventarbüchern, sondern auch in Ausstellungsdokumentationen, Filmen und Kunstkatalogen, die wir in den Dahlemer Museumsarchiven und Bibliotheken fanden. Durch unsere Forschung konnten wir bestätigen, dass die Kom-Objekte aus gewaltvollen Sammlungskontexten stammen, darüber hinaus aber auch, dass die recherchierten historischen Fakten in früheren Ausstellungen häufig nicht erwähnt wurden.

Kollaboratives Kuratieren

Die Positionen unserer afrikanischen KollegInnen einzubeziehen schien uns wichtig. Darum hatten wir die Kunsthistoriker Mathias Alubafi (Kamerun, derzeit Human Sciences Research Council, Pretoria, Südafrika) und Romuald Tchibozo (Universität Abomey-Calavi, Benin) eingeladen, der Frage nachzugehen, was die Abwesenheit der Objekte in den jeweiligen Herkunftsländern bedeutet. In seinem für die Ausstellung verfassten Text schreibt Mathias Alubafi: „Hinsichtlich der geführten Debatten um die Rückgabe von Objekten (und hier speziell von Objekten aus Afrika und insbesondere Kamerun), die sich heute in westlichen Museen befinden, sind Stellungnahmen erforderlich: Es geht darum, zu verdeutlichen, inwieweit die Abwesenheit dieser Objekte Einfluss auf deren Herkunftsgemeinschaft hat(te).“ Mit Romuald Tchibozo und der Filmerin Anna Lisa Ramella verfolgten wir ein Sammlungskonvolut von acht Objekten, sogenannten „Bocios“, die sich seit Ende der 1960er Jahre unbeachtet im Depot des Berliner Museums befinden, auf einer gemeinsamen Recherchereise an ihren Ursprungsort in Benin zurück. Tchibozo hat ein wissenschaftliches Interesse an den „Bocios“, die heutzutage in Benin nur noch schwer zu finden sind. Vor Ort befragten wir diverse AkteurInnen (KünstlerInnen, MuseologInnen, SammlerInnen und KunsthändlerInnen) nach den möglichen Gründen der Abwesenheit – ihre unterschiedlichen Antworten sind auf einer 4-Kanal-Videoinstallation in der Ausstellung zu sehen und vermitteln etwas von den vielfältigen historischen, religiösen und politischen Motiven für das heutige Fehlen der Objekte.

Um das Gesamtprojekt bereits im Entstehungsprozess mit KollegInnen zu diskutieren, veranstalteten wir zwei interne Workshops mit der Kuratorin und Wissenschaftlerin Nora Sternfeld und dem Ethnologen Friedrich von Bose. Gemeinsam erörterten wir die Fragestellung, wie innovative wissenschaftliche Positionen zur Sammlungs- und Ausstellungsgeschichte von ethnografischen Objekten in zeitgemäßen musealen Präsentationsformen sichtbar gemacht werden können. Das Ergebnis der Diskussion war der Wunsch, dass „Objektbiografien“ Raum für eine kritische Auseinandersetzung ermöglichen und den Blick der BesucherInnen auf die Objekte im Museum verändern sollte.

Visualisierung der Problematik

Diese kuratorischen Aspekte galt es in ein Ausstellungsformat zu überführen und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Objektgeschichten zu visualisieren. Mit dem Gestalterteam ADDITIV und Descloux Engelschall entwickelten wir in enger Zusammenarbeit einen entsprechenden Gestaltungsentwurf: Die Ausstellungsarchitektur hat die Form eines gleichseitigen Dreiecks, an dessen Außenseiten je ein(e) Objekt(gruppe) gezeigt wird. Ihre Sammlungs- und Repräsentationsgeschichte wird dadurch erzählt, dass die Objekte zusammen mit den Sammlungsakten, Fotos, Filmen und Publikationen präsentiert werden. Das Innere des Dreiecks repräsentiert symbolisch das Herzstück des Museums, das Depot. In den Ausstellungswänden sind Durchblicke, die verschiedene Blickachsen kreieren und so nicht nur Verbindungen zwischen den drei Objekten und den Materialien ermöglichen, sondern auch den Blick „hinter die Kulissen“ des Museums versinnbildlichen. Als Standort der Humboldt Lab-Ausstellung wählten wir bewusst den Raum vor dem Eingang zur Dauerausstellung „Kunst aus Afrika“ des Ethnologischen Museums: Statt eines Überblicks über die historische Kunst Afrikas wollten wir gezielt die umfänglichen Geschichten einzelner Objekte aus Afrika sichtbar machen.

Das andere Museum

„Objektbiografien“ dreht den Blick um und richtet ihn auf das Museum selbst, seine Geschichte, Praktiken und Netzwerke. Neben der Problematik der Provenienz hinterfragt es die musealen Kategorisierungen, die den begrenzten westlichen Blick auf Afrika und seine Kunst- und Kulturproduktionen geprägt haben, und will dazu anregen, den Umgang mit Museumsobjekten in Zukunft anders zu gestalten, beispielsweise durch einen intensiven Austausch mit AkteurInnen aus Afrika und das Einholen ihrer Expertise. Uns war darüber hinaus von Anfang an wichtig, die Inhalte nicht nur anhand von Objekten, Bildern und Texten zu vermitteln, sondern die Ausstellung selbst zu einem Ort der Diskussion zu machen. So organisierten wir regelmäßig Führungen und luden gezielt WissenschaftlerInnen, KuratorInnen und Studierende ein oder sie kamen selber auf uns zu. Je nach Forschungsschwerpunkt konzentrierten sich die Gespräche auf die kritische Museologie, die „alte Kunst” Afrikas oder aktuelle Debatten um das Humboldt-Forum. Viele BesucherInnen berichten, nun anders auf die Museumsobjekte zu schauen und sich zu fragen, wie diese ins Museum gekommen sind. Unser Vorhaben, den Blick des Publikums für die teils brisante Sammlungsgeschichte zu sensibilisieren, scheint gelungen.


Dr. Verena Rodatus hat Psychologie und Kunstwissenschaft an der Universität Bremen studiert und seit 2003 regelmäßig in Westafrika (Togo, Benin, Ghana, Elfenbeinküste und Senegal) geforscht. Das Thema ihrer Promotion behandelt die Repräsentation zeitgenössischer Kunst vom afrikanischen Kontinent und erschien im Frühjahr 2015 unter dem Titel „Postkoloniale Positionen? Die Biennale DAK’ART im Kontext des internationalen Kunstbetriebs“. Nach einer Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin für die Sonderausstellung „Kaboom! Comic in der Kunst“ (2012/13) in der Weserburg / Museum für moderne Kunst (Bremen), arbeitet sie am Ethnologischen Museum in Berlin. Ab September 2015 wird Verena Rodatus wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl „Kunst Afrikas“ der Freien Universität Berlin sein.

Margareta von Oswald hat Sozialwissenschaften und Ethnologie in Bordeaux, Stuttgart und Paris studiert. Aktuell arbeitet sie an ihrem Dissertationsprojekt „Relational things. Luba sculptures in European colonial collections“. Im Rahmen ihrer Analyse einer spezifischen Objektgruppe aus Kongo beschäftigt sie sich insbesondere mit gegenwärtigen Transformationsprozessen ethnologischer Museen in Europa. Nach einem längeren Forschungsaufenthalt im Ethnologischen Museum in Berlin, währenddessen sie aktiv am Planungsprozess des Humboldt-Forums beteiligt war, setzt sie von Juli bis November 2015 am Musée Royale de l’Afrique centrale (Tervuren, Belgien) ihre Forschung fort.


Weiterführende Texte zu diesem Projekt finden Sie hier.