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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Yuken Teruya: On Okinawa / Positionen


Vergangenheit, Gegenwart, imaginierte Zukunft

von Titus Spree

Okinawa ist geprägt von der Gewalt des Meeres und einer wechselvollen Geschichte verschiedener Kolonialisierungen. Der Ausstellung „Yuken Teruya: On Okinawa“ gelingt es, die hybride kulturelle Identität der Inselgruppe über die Grenzen der historischen Kategorisierungen hinweg erfahrbar zu machen.

Auf den ersten Blick fügt sich die Ausstellung von Yuken Teruya so harmonisch in den Fluss der historischen Sammlungen im Museum für Asiatische Kunst in Berlin-Dahlem ein, dass man übersehen könnte, in eine zeitgenössische Kunstinstallation geraten zu sein. Fundstücke aus dem heutigen Okinawa und Werke des Künstlers verschmelzen scheinbar ohne Brüche mit den historischen Sammlungsobjekten aus Okinawa, und nur bei genauerer Betrachtung erschließt sich dem Besucher eine zweite Bedeutungsebene.

Kimonos aus der Sammlung des Museums hängen Seite an Seite mit bunt bedruckten Textilbahnen des Künstlers, und in direkter Nachbarschaft zu verrosteten Militärhelmen der Imperialen Armee Japans aus dem Zweiten Weltkrieg finden wir bunt bestickte Aufnäher und andere Andenken für die 70 Jahre nach Kriegsende immer noch auf der Insel stationierten US-Soldaten. Jedes der Objekte scheint eine Geschichte für sich zu erzählen. Und jede dieser Geschichten zieht einen tiefer hinein in den Bann der facettenreichen Kultur Okinawas, das zwar seit 1871 zu Japan gehört, sich aber wie keine andere Region im äußerst zentralistisch organisierten Japan eine eigene Identität bewahrt hat.

Die lebendige Vielfalt der Ausstellung lädt dazu ein, sich auf eine Entdeckungsreise zu begeben und einzutauchen in die ganz eigene Kultur der ostasiatischen Inselgruppe, die einmal als Ryūkyū-Königreich in ganz Asien bekannt waren. Auf Ostasienkarten sehen die winzigen Ryūkyū-Inseln aus wie Trittsteine, die einen von Südjapan mit ein paar Hüpfern nach Taiwan und Südchina bringen. Und wie so oft kann man auch hier von Betrachtungen der Geografie Rückschlüsse ziehen auf die Geschichte des Ortes: die Geschichte einer kleinen Inselgruppe an der geopolitisch zentralen Peripherie der asiatischen Großmächte China und Japan.

Während im westlichen Verständnis Okinawa als integraler Teil Japans kaum mit einer kolonialen Vergangenheit in Verbindung gebracht wird, haben viele OkinawanerInnen das Gefühl, mehr als zwei Mal kolonialisiert worden zu sein. Das erste Mal, als Anfang des 17. Jahrhunderts – in Okinawa herrschten noch die Ryūkyū-Könige – die Satsuma-Fürsten aus Südjapan die Inseln überfielen. Sie eigneten sich Ryūkyū als inoffizielle Kolonie an, von der die Edo-Shogune keine Kenntnis haben durften. Für die Satsuma-Fürsten war Ryūkyū über fast drei Jahrhunderte ein kleines Fenster in die Außenwelt im sonst von den Tokugawa-Shogunen strickt abgeriegelten Japan. Als kosmopolitisches „Anhängsel“ trug es maßgeblich dazu bei, die Modernisierung Japans durch die Meiji-Revolution vorzubereiten.

Das zweite Mal fühlten sich die InselbewohnerInnen kolonialisiert, als Ryūkyū 1879 offiziell als Präfektur Okinawa in Japan eingegliedert, aber beileibe nicht mit gleichen Rechten versehen wurde. Und dann nochmals nach dem Zweiten Weltkrieg, als Okinawa nach der einzigen Landschlacht des Pazifischen Krieges auf japanischem Boden eine von den USA annektierte Militärkolonie wurde.

Als Okinawa 1972 zurück an Japan fiel, hofften die OkinawanerInnen nach fast vier Jahrhunderten Unterjochung endlich als gleichberechtigte Bürger eines demokratischen Staates anerkannt zu werden. Sie mussten jedoch feststellen, dass sie erneut Opfer von gänzlich über ihre Köpfe hinweg gefällten Entscheidungen geworden waren. Wie erst vor wenigen Jahren bekannt wurde, verpflichteten die USA die japanische Regierung in geheimen Abkommen vor der Rückgabe der Inseln dazu, die US-Militärbasen auf Okinawa gegen den Willen der Bevölkerung auf unbestimmte Zeit dort zu belassen. Und so ist Okinawa weiterhin eine kleine Inselgruppe, zerrieben zwischen den eigensüchtigen Interessen mächtiger Akteure beim geopolitischen Tauziehen um das in die Moderne katapultierte Ostasien. Auf dieses vorerst letzte Kapitel einer Geschichte der Ohnmacht und der strukturellen Abhängigkeit verweisen uns viele Details in der Ausstellung. Etwa die in den bunten, vermeintlich traditionellen Textilmustern versteckten Militärsujets in den Werken Yuken Teruyas.

Als ich 2001 meinen Lebensmittelpunkt nach Okinawa verlegte, um einen Lehrauftrag an der „University of the Ryukyus“ anzunehmen, wusste ich noch fast nichts von der bewegten und auch leidvollen Geschichte dieses subtropischen Archipels. Ich war in den Bereich Kunst im pädagogischen Fachbereich berufen worden und sollte als großstädtisch sozialisierter Festländer kurioserweise auch in einem Programm unterrichten, das sich, frei übersetzt, „Inselkultur-Pädagogik“ nannte.

Auch wenn ich mich bereits intensiv mit besonderen Orten und Kulturen beschäftigt hatte, habe ich eine ganze Weile gebraucht, um zu verstehen, was die Bezeichnung „Inselkultur“ für Okinawa impliziert. Es ist die Mischung aus Enge und Weite, die das Inseldasein prägt: Enge, weil man vom Meer eingegrenzt wird, und Weite, weil man vom Meer umgeben ist. Man ist gleichzeitig auf sich zurückgeworfen und doch mit der ganzen Welt in direkter Verbindung. Okinawa hat über die Jahrhunderte eine ganz eigene Lebensweise entwickelt, die sich aus dieser Polarität speist und dazu bestimmt ist von kulturellen Einflüssen aus China, Süd-Asien, Japan und Nordamerika.

„Yuken Teruya: On Okinawa“ schafft es, diese hybride kulturelle Identität über die Grenzen der historischen Kategorisierungen hinweg erfahrbar zu machen. Ohne starre Didaktik, sorgfältig arrangiert, wird in den zwei Ausstellungsräumen ein Panoptikum der Vergangenheit, der Gegenwart und der imaginierten Zukunft Okinawas präsentiert. Yuken Teruya löst in seiner Ausstellung die chronologische Zeitschiene auf, die wir in der Regel als Rückgrat historischer Betrachtung suchen, und verhindert so, dass die kleine ArchivarIn in uns alles schön fein säuberlich in Schubladen einordnet. Je mehr man in die Welt des Künstlers eintaucht, desto mehr verlieren die Ausstellungsstücke ihre Objekthaftigkeit und lösen sich aus ihrem zeitlichen und örtlichen Kontext, um Teil einer Geschichte zu werden, wie sie nur jemand erzählen kann, der frei ist von den Fesseln einer um die Objektivierbarkeit besorgten wissenschaftlichen Sichtweise.

Die oberflächlich einer ethnografischen Präsentation von objektivierten Artefakten ähnelnde Ausstellung ist in Wirklichkeit eine sehr subjektive Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Realität Okinawas. Anders als bei westlichen musealen Konzepten repräsentieren die Objekte nicht die Kultur, aus der sie entstammen, sondern erscheinen wie Werkzeuge des Künstlers, um in einen Dialog einzutreten – in einen Dialog mit dem Kontext, aus dem sie stammen, aber auch mit den BesucherInnen der Ausstellung. Man kann spüren, dass sich Yuken Teruya selbst noch mal auf eine Forschungsreise durch seine eigene Kultur begeben hat, aber, anders als die ForscherInnen des Westens, nicht mit dem Ziel zu objektivieren und zu sezieren, sondern um zu synthetisieren.

Auch wenn man in der Ausstellung viel über die Leidensgeschichte dieses kleinen Inselvolks erfährt, geht man am Ende leichter heraus, als man hineingetreten ist. Das ist vor allem einem sich über mehrere Meter erstreckenden Textildruck in der traditionellen Bingata-Technik zu verdanken, auf dem eine imaginierte Parade für das Vereinigungsfest des Landes dargestellt ist. Dieses zentrale Werk der Ausstellung transzendiert die von Militär und Krieg geprägte Geschichte Okinawas in eine fröhliche Prozession, in der gleichsam die Geschichte überwunden wird. Dabei jedoch lässt es umso deutlicher so etwas wie eine „Okinawanische Identität“ in seiner archetypischen Qualität hervortreten. Es ist ein bunter Entwurf, der versucht, den Wünschen der OkinawanerInnen eine visionäre und doch auch konkrete Form zu geben, und er knüpft damit an die Postkolonialisierungsdiskussion an.

Das Okinawa Yuken Teruyas hat sich befreit aus der Rolle des Opfers, die es über die letzten zwei oder drei Jahrhunderte gezwungen war einzunehmen, und ist wieder Herr über das eigene Schicksal geworden. Der Künstler hat die Okinawa-Sammlung erweitert um einen Aspekt, der die Grenzen der Institution Museum sprengt und einen Diskurs über ein lebendiges Konzept von Sammeln, Forschen, Archivieren angeregt.

Es ist zu hoffen, dass diese Art der subjektiv involvierten Auseinandersetzung eines „betroffenen“ Künstlers mit der Sammlung fortgeschrieben werden kann. Spannend wäre es, die Erfahrung, die eine derartige zeitgenössische Auseinandersetzung mit den Sammlungsobjekten ermöglicht, an den Ort zurückzutragen, von wo aus die Sammlung einmal ihren Ausgangspunkt genommen hatte und so die Artefakte aus den Vitrinen und Archiven wieder einzubringen in einen lebendigen Diskurs über die Kulturen und Institutionsgrenzen hinweg.


Titus Spree ist außerordentlicher Professor am Bereich Kunst im pädagogischen Fachbereich der University of the Ryukus in Okinawa, Japan.


Die Okinawa-Sammlung in Berlin

von Siegmar Nahser, Mitarbeit: Linda Havenstein, Alexander Hofmann

Auszug aus der Wandzeitung zur Dokumentation der Geschichte Okinawas und der historischen Sammlung des Ethnologischen Museums Berlin. Der Text war Teil der Ausstellung „Yuken Teruya: On Okinawa“.

Der erste Direktor des 1873 gegründeten Königlichen Museums für Völkerkunde in Berlin (heute Ethnologisches Museum), Adolf Bastian (1826-1905), verfügte über ein durch zahlreiche Reisen und Briefwechsel intensiv gepflegtes Netzwerk an Kontakten und konnte damit Erwerbungen aus allen Kontinenten bewerkstelligen. So erfolgte der Ankauf von 469 Gegenständen aus Okinawa auf Bestellung über die japanische Botschaft in Berlin. Dabei wurde dem japanischen Minister für Handel und Industrie, Saigo Tsukumichi (1843-1902), eine Wunschliste mit 14 Sachgruppen über die deutsche Botschaft übermittelt. Sie enthält vor allem Zeugnisse der Alltagskultur und die Bitte, genaue Herkunfts- und Verwendungsangaben beizufügen. Dieser hier wiedergegebene Brief mit Wunschliste folgt ganz den Vorstellungen ethnologischen Sammelns der Zeit, wie von Adolf Bastian mehrfach praktiziert. Als Ergebnis der Verhandlungen überreichte die japanische Regierung am 24. Januar 1884 eine Aufstellung mit Preisangaben, in deren Folge die Sammlung gegen Zahlung von 5400 Mark nach Berlin gelangte. Das Versandavis der deutschen Gesandtschaft an den Generaldirektor der Königlichen Museen zu Berlin, Herrn Schöne, vom 25. Oktober 1884 zu dieser Erwerbung lautet:

„Euere Hochwohlgeboren werden bereits seitens des Auswärtigen Amtes benachrichtigt worden sein, daß die Sammlung ethnologisch interessanter Gegenstände von den Liukiu-Inseln, wegen deren Beschaffung Euere Hochwohlgeboren seiner Zeit die Vermittlung der Kaiserlichen Gesandtschaft in Anspruch genommen haben, vor einigen Wochen in Tokio eingetroffen und mir zur Verfügung gestellt worden ist.
Nachdem inzwischen die Verpackung der aus 469 Nummern bestehenden Sammlung in 20 Kisten erfolgte, ist die Sendung am 14. d. Mts. durch die Herren Simon, Evers & Co in Yokohama mittels Hamburger Schiffes „Atlanta“ an die Generaldirektion der Königlichen Museen abgesendet worden.
Die Kosten für Spedition, Fracht und Versicherung werden seitens der genannten Firma von Euerer Hochwohlgeboren direkt durch Nachnahme erhoben werden.
Wegen Erstattung der der hiesigen Regierung durch die Anschaffung erwachsenen Kosten, sowie der der Kaiserlichen Gesandtschaft durch die Verpackung pp. verursachten Auslagen, habe ich die Vermittlung des Auswärtigen Amtes erbeten. Die ersteren belaufen sich auf 1490 Yen 27sen 5rin, die letzteren auf 152 Yen 25sen, d.i. nach dem jetzigen Kurse zusammen etwa 5843 M. (fünftausendachthundert, drei und vierzig Mark). Einen ausführlichen Katalog der Sammlung nebst Verzeichnis beehre ich mich in Japanischem Original und deutscher Übersetzung hier ganz ergebenst beizufügen.
Der Kaiserliche Gesandte: gez. Graf Dönhoff“


Kurz nach Eintreffen in Berlin 1885 wurden die Stücke museumsüblich inventarisiert und auf Karteikarten, teilweise zweisprachig, mit kurzer Beschreibung erfasst. Erstmals in einer Ausstellung zu sehen war ein Teil dieser Sammlung in Berlin 1892. Dies zeigt ein kurzer Text im Führer durch das Museum für Völkerkunde. Bedingt durch den Zweiten Weltkrieg sind heute nur etwa 30 Prozent, genau 147 Objekte, in Berlin. Die Mehrzahl der Objekte ist vermutlich durch die russische Siegermacht konfisziert worden. Durch Augenzeugen ist bekannt, dass sich einige Stücke in Sonderdepots in der Eremitage in St. Petersburg befinden.
 
Seit 1991/92 erschienen Publikationen zu Objekten der Berliner Sammlungen, darunter auch spätere Erwerbungen. Im Jahr 2000 folgte eine Sonderausstellung mit 50 Werken im Ethnologischen Museum in Berlin-Dahlem. Den Berliner Gesamtbestand an 70 Textilien dieser Herkunft konnte Shukumine Kyôko, Professorin an der Kunsthochschule Naha, 2013 nach längeren Vorarbeiten in einem zweibändigen Katalog publizieren.

Die seit Adolf Bastian angestrebte Okinawa-Sammlung für Berlin ist vom Zuschnitt her ethnologisch kulturkundlich aufgebaut worden. Weitere, wenn auch weniger umfängliche Erwerbungen folgten seit 1895 bis in die Gegenwart. Heute umfasst die Sammlung insgesamt 197 Stücke; 70 wertvolle Textilien, wie oben erwähnt, sowie 127 Gegenstände der Alltagskultur.


Dr. Siegmar Nahser ist seit 1997 Kustos der Sammlung Korea und Japan am Fachreferat Ost- und Nordasien des Ethnologischen Museums und seit 2006 kuratorial für diesen gesamten Bereich verantwortlich. Linda Havenstein lebt und arbeitet als Medien-Künstlerin in Berlin. Dr. Alexander Hofmann ist seit 2004 Kurator für Kunst aus Japan am Museum für Asiatische Kunst.


Der Künstler Yuken Teruya über seine Arbeit an einer neuen Okinawa-Sammlung für Berlin

In Auseinandersetzung mit den historischen Objekten der Okinawa-Sammlung des Ethnologischen Museums in Berlin habe ich vorgeschlagen, die Sammlung zu erweitern – und zwar mit Objekten und Textilien, die nach Abschluss dieser ersten Sammlung entstanden sind. Hinterlassenschaften aus dem Zweiten Weltkrieg und jüngere Objekte aus Okinawa werden in „Collections from the Past and the Future“ neben visuellen Vorstellungen von der Zukunft ausgestellt.

Bei der Recherche für die neue Sammlung habe ich mich auf die Zeit nach Entstehung der historischen Sammlung (nach 1846) konzentriert. Mein Ausgangspunkt waren folgende Fragen: Was waren die wichtigsten Kriterien der Objektwahl? Was sollte man für eine ethnologische Sammlung besonders beachten? Was würde ich gerne für die nächsten Jahrhunderte bewahrt wissen?

Anstatt herauszufinden, welche Objekte in der Zukunft den höchsten Geldwert hätten, habe ich angefangen Objekte zu suchen, die die aktuellen Belange der BewohnerInnen von Okinawa widerspiegeln. Die Objekte repräsentieren lokale kulturelle Aktivitäten, unter anderem Friedensbewegungen und Umweltschutzprojekte. Ich habe mich während der Recherche kontinuierlich weiter an Fragen orientiert, zum Beispiel: Woher kommt die Inspiration für diese Bewegungen?

Ein wichtiger Aspekt der historischen Sammlung, den es zu berücksichtigen gilt, ist die Tatsache, dass die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit der Okinawa-Sammlung die Kultur des Königreichs Ryūkyū bewahrt. Das Königreich stand kurz davor, in der japanischen Kultur des 19. Jahrhunderts aufzugehen, als Okinawa zu einem Teil von Japan wurde. Da die Berliner Sammlung bereits über Werke verfügt, die sich auf Okinawas Vergangenheit beziehen, wollte ich herausfinden, wie sich die Zukunft Okinawas sichtbar machen ließe.

Isamu Kuniyoshis Beitrag

Dank Isamu Kuniyoshis großzügiger Unterstützung konnte ich insgesamt 43 Objekte aus seiner Sammlung nach Berlin bringen. Dreizehn davon sind in der Ausstellung zu sehen.

Seit über 50 Jahren sammelt Isamu Kuniyoshi Objekte auf Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs und in natürlichen Höhlen, die damals als Notunterkünfte und Lazarette für Verletzte genutzt wurden. Er gräbt Objekte an diesen Orten aus, säubert sie behutsam und entfernt den Rost. Er inventarisiert alle Objekte, dokumentiert das Datum und den Ausgrabungsort. Die Objekte werden dann in seinem Ausstellungsraum gezeigt. Handgranaten, Helme, Wasserbehälter und zerbrochene Brillen: alles Spuren, die wirken, wie aus der Zeit gefallen. Sie machen nicht den Eindruck, 70 Jahre alt zu sein. Wenn die Objekte zu einer kollektiven Einheit werden, dann scheinen sie sich zu weigern, Teil der Gegenwart zu werden.

[Link Isamu Kuniyoshis Ausstellungsraum und Objekte]

Isamu Kuniyoshi erforscht weiterhin Höhlen. Die meisten Höhlen liegen im südlichen Teil der Insel Okinawa, der Region mit der höchsten Anzahl an registrierten Todesopfern. Viele Menschen wurden hier gezwungen, in den Unterkünften kollektiv Suizid zu begehen, oder sie sprangen von den Klippen in den Ozean.

Ein kontinuierlicher Besucherstrom kommt zu Isamu Kuniyoshi. Als eine Art Ausbildungsprojekt für den Frieden bietet er BesucherInnen die Möglichkeit, sich an seiner Forschung zu beteiligen. Er lässt die Teilnehmenden menschliche Überreste aus der Erde graben. Es war für mich eine erschütternde Erfahrung, im Rahmen dieser Forschungen nicht nur mit dem Tod und der Kriegszeit konfrontiert zu sein, sondern auch zu merken, dass die Verstorbenen seit fast 70 Jahren auf diesen Moment gewartet haben. Jetzt werden die Körper zu einem Zeitpunkt entdeckt, an dem die Bevölkerung anfängt, die brutalen Fehler und die großen Verluste des Krieges zu vergessen.

Als ich Isamu Kuniyoshi begleitete, fand er eine Gewehrkugel tief in der Erde einer Höhle und teilte sie sofort in zwei. Frisches, glänzendes Schießpulver rieselte heraus. Er sagte, es sei eine scharfe amerikanische Kugel, das könne er anhand der Form der Pulverpartikel feststellen. Er zündete das Pulver mit einem Feuerzeug an und sofort kam eine frische, gelb-orangene, helle Flamme auf, die vor dem blauen, dunklen Hintergrund der Höhle aufleuchtete. Das war mein erster sinnlicher Bezug zur Kriegszeit. Eine seit 70 Jahren vergangene Zeit wurde plötzlich gegenwärtig, farbig und erlosch wieder vor meinen Augen.

Diese Kriegsobjekte scheinen in der Vitrine zu schweben, als wollten sie sich von ihrem historischen Kontext lösen und ihre Bedeutung neu erforschen. Die schwebende, horizontale Auslage steht mit anderen Teilen der Ausstellung in Bezug und verbindet so Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einem neuen Narrativ.

Katsuyuki Taira: Die Yanbaru-WaldbewohnerInnen

Seit Jahrzehnten fotografiert Katsuyuki Taira die Veränderungen in der Pflanzen- und Tierwelt des Yanbaru-Waldes. In seinen Bildern starren die WaldbewohnerInnen den Betrachter an. Katsuyuki Taira nähert sich den Tieren aus der Wurmperspektive. Wenn er auf dem Boden kriecht und sich der Augenhöhe einer Schlange oder eines anderen Tieres anpasst, dann fasst er die Beziehung zwischen Menschen und Tieren durch ihre Augen.
Die Zusammenstellung der Tierfotos ist wie ein Familientreffen und ähnelt Fotosammlungen, wie sie in Häusern auf der ganzen Welt zu finden sind.

Katsuyuki Taira ist Mitglied der Yanbaru Donguries, einer Umweltschutzgruppe, die den Yanbaru-Wald erhalten möchte. Der Name stammt von einer Eiche in dem Wald, die die größten Donguri (Eicheln) Japans hat. Besorgte AnwältInnen und BürgerInnen haben den Verein im April 2012 gegründet. Sie werden von den Anwälten Jinen Kita und Asako Akamine vertreten. Der Kauf der Fotos für die Ausstellung hat geholfen, die Arbeit von Yanbaru Donguries zu unterstützen, unter anderem bei der Forschung und bei einer Klage gegen die Zerstörung des Waldes.

[Link Ausstellungsansicht „On Okinawa“, Beiträge von Katsuyuki Taira und Yumi Nakamura]

Yumi Nakamura: Drachen

Über den Tierfotos von Katsuyuki Taira ist ein Bild des Nachthimmels zu sehen.

Yumi, eine enge Freundin aus Okinawa, ist in einer Sommernacht bei Vollmond ins Freie gegangen, um dieses Foto zu machen. Als sie den Himmel mit ihrem iPhone aufnahm, merkte sie, dass man in dem Bild einen Drachen sah. Er taucht immer wieder auf den Fotos ihres iPhones auf. Oft teilt sie diese Fotos mit mir. Yumi Nakamura behauptet, sie sähe Drachen und kommuniziere mit ihnen. Die Bilder würden die Energie der Natur darstellen, die ihr als Drache erscheint.

Es fiel mir schwer zu akzeptieren, dass diese Fotos einen Drachen zeigen. Nachdem ich das Bild immer wieder betrachtet habe, erscheint mir ihre Erklärung des Bildes als Darstellung der Energie der Natur jedoch immer einleuchtender. Drachen sind ein wichtiger Aspekt ihrer Anbetung der Natur. Sie deutet auch einen leichten Wind als Gruß der Natur. Für mich sind diese beiden Beispiele Beweise eines im zeitgenössischen Leben überdauernden Animismus. Man kann ihr Foto als Drache deuten oder als Wolken, die vom Vollmond beleuchtet werden – oder als etwas ganz anderes.

[Link Yumi Nakamura, „Image of a Dragon“, 2014, Beitrag zur Ausstellung „On Okinawa]

Yambaru-WaldbewohnerInnen und Drachen

Ich freue mich, dass in der Vitrine Leben auf der Erde und Leben in den Lüften zu einem werden. Der Himmel als Lebensraum ist Teil der Natur in Okinawa.

„Parade From Far Far Away“

In der Ausstellung möchte ich zeigen, wie die Zukunft Okinawas aussehen kann. Meine Ideen beruhen auf der Analyse aktueller Gesprächsthemen in Okinawa und sie sind inspiriert von den über 150 Werken der Okinawa-Sammlung des Ethnologischen Museums/Museums für Asiatische Kunst in Berlin.

Meine erste Begegnung mit der historischen Okinawa-Sammlung war eine emotionale und anrührende Erfahrung. Es war, als hätte ich gerade mir bislang unbekannte Verwandte kennengelernt. Die Sammlung wurde Japan vor 120 Jahren abgekauft, im Jahr 1884/85, und hat den Zweiten Weltkrieg in Deutschland überlebt. Diese Entdeckung einer fernen Zeit brachte mich darauf, zu erforschen, wie Okinawa in 120 Jahren aussehen könnte.

Die Zukunft erschaffen: Die Parade in „Parade From Far Far Away“ findet in der Zukunft statt. Es ist eine Darstellung der Zukunft, die ich sehen möchte.

Ich bin der Überzeugung, dass man die Vergangenheit verstehen muss, um sich eine Zukunft vorstellen zu können. Die Stoffbahn „Parade From Far Far Away“ ist eine Neuschöpfung aus dem Geist der historischen Okinawa-Sammlung des Ethnologischen Museums. Das Bingata-gefärbte Hofgewand in Kimono-Form (vor 1879, Baumwolle, Bingata-Färbung, Shuri, Okinawa) aus der historischen Sammlung war die Inspiration für die zickzackförmigen Muster auf der Stoffbahn, sie erinnern an Blitze. Dieses Blitz-Muster ist ein traditionelles Symbol für Gesundheitswünsche an heranwachsende Kinder.

Die Kimonos aus der Okinawa-Sammlung des Ethnologischen Museums inspirierten auch die Bekleidung der Menschen der Parade. Diese Kimonos sind im selben Raum wie die Handrolle zu sehen. Als ich mir die Zukunft in Hinblick auf Kleidung vorgestellt habe, dachte ich an eine Mischung zwischen vergangenem und zeitgenössischem Stil. Die meisten Kimonos der Dahlemer Sammlung sind aus dem 18. Jahrhundert, aus gefärbten Basho-Stoffen (gewonnen aus Bananenblättern). Daher habe ich extra für diese Arbeit Basho-Stoff in Okinawa angefertigt.

Über 110 Teilnehmer sind in der Parade abgebildet. Die Mehrzahl beruht auf realen Personen aus Vergangenheit und Gegenwart. Dazu zählen Politiker, Schriftsteller, Künstler, Tänzer, Musiker und Aktivisten Okinawas sowie ein paar Leute aus anderen Ländern. Zu den spezifischen Porträts zählen Tetsuo Kinjô (Autor von Ultraman), Yoko Gushiken (Boxer), Mao Ishikawa (Fotografin), Cocco (Sängerin), Pussy Riot (Künstlerinnengruppe), Kamejiro Senaga (Politiker), Iha Fuyū (Autor), C. Douglas Lummis (Autor) und Susumu Inamine (jetziger Bürgermeister von Nago). Meine engen Freunde und Verwandten tauchen auch auf. Ich glaube, der Einfluss dieser Personen aus Vergangenheit und Gegenwart wird die Zukunft mitgestalten.

In der Parade laufen die Menschen wie bei einer Demonstration. Das Bild ist als Szene aus der Zukunft arrangiert, die während eines imaginierten jährlichen Vereinigungsfestivals stattfindet, um die demilitarisierte Insel Okinawa zu feiern. Die Veranstaltung feiert die Teilnehmer, die einen Militärstaat besiegt und die Natur erhalten, jedoch gleichzeitig ihre kulturelle Identität bewahrt und sich mit den Nachbarländern wiedervereinigt haben.

Die Parade stellt den Lauf der Geschichte dar, um sicherzustellen, dass Kämpfe nicht vergessen werden. Die gegenwärtigen Demonstrationen werden somit zu einem Gedenkfestival der Zukunft.

[Link Ausstellungsansichten „On Okinawa“, „Parade From Far Far Away“]

Übersetzung aus dem Englischen von Anna Johannsen


Yuken Teruya wurde 1973 in Okinawa, Japan, geboren. Er erhielt seine Ausbildung an der Tama Art University, Tokyo und der School of Visual Arts, New York. Heute lebt und arbeitet der Künstler in New York und Okinawa.