HINWEIS

Diese Website nutzt für statistische Erhebungen und zur Verbesserung des Internetauftritts das Webanalysetool Piwik. 

Aktuell wird ihr Besuch von der Piwik Webanalyse erfasst.

Nein, ich möchte nicht, dass mein Besuch erfasst wird.

ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Reisebericht / Positionen


„Die Landschaft nehm' ich auch noch mit“

von Elisabeth Wellershaus

In der Auseinandersetzung mit dem „Reisebericht“ Jacobsens hat das Berliner Puppentheater Das Helmi einen Film produziert, der die rassistischen Vorurteile der Zeit in aller Drastik visuell reproduziert – und damit eine berechtigte Kontroverse ausgelöst.

Ein Berliner Museumsdirektor beauftragt einen norwegischen Abenteurer nach Nordamerika zu fahren, um an der Pazifikküste bei „Indianern“ und „Eskimos“ ein paar Kunstgegenstände „zu erwerben“. Der Abenteurer kämpft während der Überfahrt gegen Riesenkraken und Killerwale, später um sein Ansehen bei den Indigenen und mit dem Drogenrausch bei ihren Festen. Aus seiner Perspektive sehen die Ureinwohner aus wie Elche, Truthähne oder Wesen von einem anderen Stern. Weswegen er am Ende neben Kunst auch gleich noch ein paar von ihnen für Hagenbecks Völkerschauen nach Deutschland mitbringt.

Etwas verkürzt ist das der Inhalt einer Produktion, die das Ethnologische Museum in Berlin als Auftrag an die Figurentheatergruppe Das Helmi vergeben hat. Inspiriert durch die Arbeit des ägyptischen Künstlers Wael Shawky, der mit „Cabaret Crusades“ die Kreuzzüge aus arabischer Sicht im Video eines Marionettentheaters darstellt, wollte das Museum sich mit Aspekten seiner Nordamerika-Sammlung beschäftigen. So wurde das Tagebuch des selbst ernannten Kapitäns und Forschers Johan Adrian Jacobsen zur Arbeitsgrundlage für einen 30-minütigen Puppen-Film. „Der von einem Stern zum anderen springt“ ist das Ergebnis. In satirischem Überschwang versucht Das Helmi – das in Berlin vor allem für seinen anarchischen und nicht gerade politisch korrekten Umgang mit heiklen Themen bekannt ist – Jacobsens naive Betrachtungen von 1881 und zeittypische Vorurteile auf die Native Americans zu spiegeln. Auch die Raffgier europäischer Museen und Kunstsammler wird thematisiert.

Doch das Projekt überschreitet empfindliche Grenzen. Zwar bekommen auch Jacobsen und der damalige Leiter des Berliner Völkerkundemuseums, Adolf Bastian, ihr Fett weg. Vor allem ersterer scheint, mit dem schnoddrigen Ton seines Puppenspielers ausgestattet, sämtliche Klischees des europäischen Kunstjägers zu bedienen. Etwa wenn er mit Sätzen wie „die Landschaft nehm’ ich auch noch mit“ durch den Film poltert. Im Vergleich dazu aber sehen die Ureinwohner nicht einmal mehr aus wie Menschen. Mitglieder vom Stamm der Haida beispielsweise werden wie eine Horde aufgescheuchter Truthähne dargestellt. Auch sonst trägt kaum ein Indigener im Film menschliche Züge. Mit gutem Willen ist das als Referenz auf Jacobsens Interpretation der ihm fremden Legenden und Mythen zu deuten. Doch lässt sich der Film, der im Ansatz ja eine kritische Haltung gegenüber kolonialem Gedankengut vermitteln soll, nun auch wie die unnötige Reproduktion rassistischer Stereotype lesen.

Vor allem an einer Stelle des Films stoßen sich KritikerInnen: Es ist die Nachstellung einer sogenannten Potlatch-Zeremonie, eines Festes, das bei vielen Stämmen an der nordwestlichen Pazifikküste Tradition ist. In der nachgestellten Filmversion zittern bemalte nackte Körper, Arme und Beine fuchteln wild umher, Brüste wackeln aufreizend. Es ist die einzige Szene des Films, in der die Puppen hinter die DarstellerInnen zurücktreten und damit eine bewusst ausgestellte Exotik unterstreichen. Eigentlich geht es beim Potlatch um den rituellen Austausch von Geschenken, der auf komplexe gesellschaftliche Hierarchien verweist. Ein Ritual, an dem auch Jacobsen sich versucht, um von seinen Handelspartnern soweit ernst genommen zu werden, dass er sie bestehlen kann. Im Film der Helmis wird daraus ein „Indianerklischee auf unterstem Niveau“, kritisieren einige EthnologInnen.

Doch genau so ist es in Jacobsens Aufzeichnungen zu lesen. Und diese wollten die Leiterin des Ethnologischen Museums, Viola König, und ihre Kuratorin, Monika Zessnik, ungeschönt der Öffentlichkeit präsentieren. Mit Blick auf die aktuelle Debatte um die Freiheit von Satire, Kunst und Meinung im Zusammenhang mit kultureller Sensibilität sind sie sich durchaus bewusst, dass eine solche Satire sich nicht unbedingt mit humanitärem Unrecht verträgt. Sie heben deshalb sogar selbst Problemstellen des Films hervor: die fast durchgehende Darstellung der Indigenen als Tiere beispielsweise oder eine Drogenrauschszene in 1968er-Hippie-Ästhtetik, die im Video das Potlatch-Fest bestimmt, in Jacobsens Reisebericht jedoch gar nicht auftaucht.

Im Humboldt-Forum wird der Film aus verschiedenen Gründen nicht zu sehen sein. „Aber wir halten kontroverse Experimente grundsätzlich für angemessen, weil so ein Film als Format für einen multiperspektivischen Ansatz in einem Ausstellungsmodul im Humboldt-Forum denkbar ist“, sagt König. Man suche schließlich noch nach Repräsentationsformaten. „Wir sind uns außerdem ziemlich sicher, dass das Ganze nicht solche Wellen geschlagen hätte, wenn es eine normale Theaterproduktion gewesen wäre und kein Auftrag des Ethnologischen Museums“, sagt Zessnik. Und dass es auch ihnen erlaubt sein müsse, sich der eigenen Geschichte – in diesem Falle der Wilhelminischen Epoche – aus eigener Sicht zu nähern.

Im neuen Ausstellungsformat sollen die europäische und die indigene Sicht auf die Sammlung nebeneinander stehen. Zum einen werden sich zeitgenössische Yupik(-Künstler) mit den Objekten der Sammlung beschäftigen, sie werden Fragen der Bedeutung und des Verlusts ihrer Kulturschätze in Alaska nachgehen sowie die Bewahrung ihrer materiellen Kultur in den Museen bewerten. Zum anderen soll ein Projekt die europäische Perspektive auf die Sammlungsentstehung repräsentieren. Natürlich möchte man die Ureinwohner mit dem Endergebnis nicht vor den Kopf stoßen. „Sie sollen ihre Kinder ja nicht davon fernhalten müssen“, so König.

Das aber könnten einige tun, wenn die rassistischen Vorurteile aus Jacobsens problematischem Schriftstück tatsächlich „realistisch“ abgebildet werden. Denn Diskriminierungen, die auf derartigen Stereotypen basieren, sind vor allem in den USA und Kanada noch immer höchst virulent. Ein adäquater Umgang mit der Vorlage ließe sich wohl nur im direkten Austausch mit VertreterInnen der betroffenen Kulturen finden. Und indem man sich der Frage stellt, ob die detailgetreue Umsetzung des Stoffs wirklich der einzige Weg ist, sich der europäischen Perspektive zu nähern. Die international doch eher unterrepräsentierten Ureinwohner Nordamerikas sind schließlich selbst gerade erst dabei, sich ihre Identität zurückzuerobern. Da sollte die erneute Aneignung ihrer Traditionen durch die Erzählungen westlicher KuratorInnen oder KünstlerInnen noch einmal hinterfragt werden. Zwar steht es selbstverständlich allen KünstlerInnen frei, selbst über Form und Inhalt ihrer Arbeit zu bestimmen – genau dafür hat man Das Helmi schließlich engagiert. Doch wenn im Zusammenhang mit dem Humboldt-Forum die Kräfteverhältnisse zwischen den Kulturen ausgeblendet werden, lässt sich kaum von echtem Austausch sprechen.

Genau den aber suchen König und Zessnik, wie sie betonen. Weswegen sie ihren KritikerInnen mittlerweile sogar dankbar sind für deren Unmut, und das Nachdenken über die eigene Geschichte in die nächste Runde geht.


Elisabeth Wellershaus lebt als freie Journalistin in Berlin.


Immersive Erfahrungswelten

von Linda Breitlauch

Das Computerspiel „Totem‘s Sound“ von gold extra nimmt seine SpielerInnen mit auf die Nordamerikafahrt des Entdeckers Jacobsen – und macht sie zu Ko-AutorInnen der Erzählung, des Tauschs und der Sammlung von Artefakten.

Geschichten, insbesondere solche von AbenteurerInnen, lassen sich auf vielfältige Weise erzählen. Ausstellungsstücke eines Museums erzählen Geschichten üblicherweise eher durch dokumentarische Veranschaulichung. Wenn jedoch im Sinne lebendiger Museumskultur die rein historische Ebene durch eine zusätzliche, fiktional anmutende Erzählebene erweitert wird, entsteht eine Rezeptionssituation, die die BesucherInnen auffordert, eine fast intime Auseinandersetzung mit dem Werk zu führen. Eine im besten Sinne ungewöhnliche Form der Vermittlung von Objekten und ihrer Geschichte ist das Humboldt Lab-Projekt „Totem‘s Sound“, das zu einer höchst interaktiven Annäherung auffordert. Mit der Umsetzung in ein Computerspiel wurde eine Vermittlungsform gewählt, die durch den hohen Innovationsgrad des Mediums ein popkulturelles Phänomen adressiert.

„Totem‘s Sound“ nimmt die SpielerInnen mit auf die Reise des norwegischen Entdeckers Johan Adrian Jacobsen. Der Spieler bzw. die Spielerin verkörpert den Entdecker, der Ende des 19. Jahrhunderts an die amerikanische Nordwestküste und nach Alaska reiste, wo er zahlreiche Objekte für die Museumssammlung im Auftrag des damaligen Berliner Museums für Völkerkunde erwarb. Eine Station dieser Reise, die er in einem ausführlichen Tagebuch beschrieb, führte ihn in das Dorf des Volks der Haida in Kanada.
Das interaktive Erzählen mittels Computerspielen ist eine zwar durchaus nicht neue, jedoch längst noch nicht etablierte Erzählform. Computerspiele sind seit den 1970er Jahren ein Medium, mit dem man sich Geschichten im direkten Austausch nähern kann. SpielerInnen werden zu Ko-AutorInnen, eine gemeinsame Erzählbeziehung wird gegründet. Ähnlich wie der Film stellt ein interaktives Spiel eine vermeintliche Gegenwartssituation her, die die SpielerInnen in das Geschehen zieht, als fände das Erlebte heute – gerade jetzt – statt. Auf diese Weise lässt sich auch längst Vergangenes neu und unmittelbar erlebbar machen.

Die Ästhetik von „Totem‘s Sound“ lehnt sich – offensichtlich als Hommage an die legendäre japanische Rollenspielserie „Zelda“, der es optisch und spielmechanisch nachempfunden ist – dem Stil alter 16-Bit-Action-Rollenspiele an. Wie es durchaus üblich ist für Computerspiele diesen Genres, erleben wir die Umgebung aus einer isometrischen Perspektive, die dem Spieler oder der Spielerin eine Übersicht über einen Teil des Spielfelds erlaubt. Die Geschichte beginnt in einem Dorf, in dem „Jacobsen“ eben angekommen ist, und seine Reise beginnt. Als erste Aufgabe muss er in einem Wald jemanden suchen, der ihm nach einem eigenartigen Bissritual eine Decke schenkt. Diese tauscht er bei einem Einwohner des Dorfs gegen das erste Artefakt, das er mit nach Berlin nehmen möchte. Während der Weg durch die Wälder die üblichen feindlichen Begegnungen mit Moskitos, Wölfen und Bären mit sich bringt, denen siegreich begegnet werden muss, bricht das Spiel im Moment der Übergabe des ersten Artefakts mit bekannten Genreregeln und scheint ins 20. Jahrhundert zu springen. Plötzlich befindet man sich in einer an die TV-Ästhetik der 1970er Jahre angelehnte, mit Sounddissonanzen ausgestatteten Sequenz, die mit postmodernen Referenzen aufwartet.

Die Mittel eines Computerspiels zur Aufarbeitung historischer Ereignisse sind andere als die von Buch, Spielfilm oder Dokumentation. Doch die Wahl, auf welchem Pfad man in der Geschichte voranschreitet, ist auch in einem Computerspiel nicht immer völlig frei. Die Entscheidungen, die die SpielerInnen treffen, folgen mehr oder weniger dem Weg, den die MacherInnen des Spiels – AutorInnen, Game DesignerInnen, KünstlerInnen und ProgrammiererInnen – vorgeben. Die aufgegebenen Quests nicht zu erfüllen, führt, wie auch in „Totem‘s Sound“, durchaus dazu, dass die Geschichte verharrt. Wie im richtigen Leben, in dem es oft das Nicht-Handeln ist, das uns verharren lässt – gelegentlich so lange, bis andere die Entscheidung für uns treffen. Insofern ist auch eine ComputerspielerIn nicht frei in der Erzählung.

Mit dem Auftrag, weitere Artefakte zu besorgen, eröffnen sich für „Jacobsen“ neue Kommunikationsmöglichkeiten mit den EinwohnerInnen, aber auch weitere Handlungsmöglichkeiten, wie eine Kanufahrt oder Muschelsammeln zwischen Seehunden. So folgt der Spieler oder die Spielerin den Aufzeichnungen des Entdeckers, erlangt und sammelt die Artefakte im Spiel. Das Wissen über die Entstehung der Sammlung des Ethnologischen Museums in Berlin kann durch die immersive Erfahrungswelt der BesucherInnen in der Rolle Johan Adrian Jacobsens erweitert werden. Die interaktive Auseinandersetzung befördert die Reflektion über Fremdes und Fremdartiges, wozu das Thema und die verwendeten Mittel aufrufen. So fügt sich „Totem‘s Sound“ ein in das Gesamtkonzept der transmedialen Ausstellung „Reisebericht“. Die SpielerInnen können ihre „erspielten Artefakte“ auch direkt im Museum erfahren, wenn sie mit Hilfe von Tablets und Augmented-Reality-Technologie auf die historischen Objekte in den Vitrinen blicken, und sich virtuelle und wirkliche Welten überlagern. Das durchaus als klassisch zu bezeichnende Prinzip des Interaktiven Storytellings im Computerspiel erfährt durch die Transmedialität der Ausstellung, die virtuellen und musealen Raum miteinander verbindet, eine neue Dimension, die zur Nachahmung einlädt.


Dr. Linda Breitlauch ist Professorin für Game Design an der Hochschule Trier.