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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Audio Guide Special – Storylines / Positionen

„Wir haben die Hypertextstruktur des Internets in eine akustische Form gebracht“

Das Audiokunstduo Serotonin über seinen „Audio Guide Special“
Gespräch: Gaby Hartel

Marie-Luise Goerke, Matthias Pusch, was macht Ihren „Audio Guide Special“ speziell?

Matthias Pusch: Wir sind fest davon überzeugt, dass ein Audioguide, der nur erklärend ist und stichwortartig Informationen über verschiedene Objekte übermittelt, die eigentliche Aufgabe eines Museums nicht wahrnimmt. Die besteht für mich darin, einen Zusammenhang herzustellen zwischen den Objekten und ihrem „Hinterland“. Dazu gehört etwa die Frage, warum gerade diese Exponate im Museum sind und andere nicht. Und genauso ein Thema wie die momentan virulent diskutierte Provenienzgeschichte.

Oder die Hintergründe der Herkunftsgeschichte?

Pusch: Ja. Hier in Berlin hat das Pergamonmuseum ja beispielsweise den Pergamonaltar im Bestand. Ein Glück, könnte man denken, angesichts der momentanen Zerstörungen einzigartiger Kulturgüter im Nahen Osten. Aber man kann die Vorstellung vom bergenden westlichen Museum nicht einfach unkommentiert stehen lassen. Denn die Idee des Museums war in seiner Gründungszeit, also im 19. Jahrhundert, eine ganz andere als heute.

Das Museum verstand sich als Lehr-, Sammel- und Bildungsanstalt und konnte sich in der Rezeption wohl auf einen Konsens mit dem Bildungsbürgertum stützen. Wer damals ins Museum ging, brachte größere kulturelle Kenntnis mit und konnte eher selbst solche Zusammenhänge herstellen, die man heute anhand von Texten nachliefert. Sie beide wollen nun mithilfe des polysinnlichen Mediums Sound-Art ebenfalls Dinge vermitteln – aber anders als die Wandtafel.

Marie-Luise Goerke: Wir haben uns gleich zu Beginn des Projekts mit der grundlegenden Frage beschäftigt, wie man überhaupt mit Texten umgeht. Dabei haben wir festgestellt, dass der lineare Text heute, im 21. Jahrhundert, immer noch der Standard ist, obwohl die gesamte Internetwelt schon längst anders funktioniert: nämlich nicht-linear. Wir haben diese nicht-lineare Funktionsweise auf ein komplexes Textgebilde übertragen, das in einem Bildungszusammenhang steht. Eine ziemliche Herausforderung.

Pusch: Weil es eben noch keine erprobte Umsetzungsmethode gibt. Man könnte die Besucher natürlich mit einem Bildschirm durchs Museum schicken und über einen Browser einen normalen Internetzugang nutzen lassen. Das wäre eine vertraute und auch eingeübte Art, nicht-linearen Text einzusetzen. Dann würde aber der Bildschirm den Blick auf die Exponate verdecken. Und man kommt doch ins Museum, um die Aura des Originals zu spüren.

Sie haben sich darum weniger die Informationsübermittlung vorgenommen, sondern eher eine Wissensvermittlung durch Remediation versucht, also die Überführung von konkreten Objekten in Erkenntnis. Das aufregende Potenzial Ihres „Audio Guide Special“ liegt ja in der Tatsache, dass man über das Hören direkte Sinnes- und Erfahrungskopplungen herstellen kann zu zeitlich und räumlich weit entfernten Dingen.

Goerke: Ja, und da geht die lexikalische Wissensvermittlung einen anderen Weg. Text-Objekt-Korrelation finden wir bei den meisten herkömmlichen Audioguides. Auch bei denen kann der Stoff natürlich etwas auflockert sein – und dem Text Sound, Musik, O-Ton hinzugefügt. Aber sie diktieren trotzdem einen vorgeschriebenen Weg, der einem sagt, wie ein Exponat zu sehen und zu verstehen ist. Das ist Bildbeschreibung, Objektbeschreibung.

Welche Rolle spielt die Besetzung der Sprecherstimmen in Ihrer Arbeit?

Goerke: Eine ganz entscheidende! Ich will jetzt kein Audioguide-Bashing betreiben, aber normalerweise sind die Stimmen, die man in solch einem Zusammenhang hört, völlig ungeeignet: Es sind entweder glatte Werbestimmen oder Stimmen, die steril und fehlerfrei lesen. Eine solche Sprechhaltung überträgt keinen emotionalen Funken und hat in keiner Weise etwas mit dem zu tun, was transportiert wird. Wir haben die Stimmen als Instrumente eingesetzt, die den Besucher gefühlsmäßig ansprechen und neugierig machen.

Pusch: Schon im Untertitel „Storylines“ ist die Idee einer nicht hierarchischen, dicht gewobenen Textur enthalten, die aus sich überschneidenden narrativen Fäden oder Linien besteht. Der Begriff beziehungsweise die Vorstellung solcher „Storylines“ kommt von den australischen Aborigines, von denen wir uns haben inspirieren lassen. Bei den Aborigines wird Landschaft, ihr Lebensumfeld also, nicht durch ein kartografisches, kartesisches System erfahren, sondern durch ein individuell oder kollektiv erlebtes, ein im weitesten Sinn lyrisches System.

Basierend auf einer körperbasierten, anregenden „Ästhetik des Gehens“, die derzeit in Kunst und Philosophie stark diskutiert wird. Die Pfade durch den Ausstellungraum wurden bei Ihnen offen angelegt, wobei Sie darauf spekulieren, dass Ihre Wissenserzählung im individuell gewählten Weg von Exponat zu Exponat mit Erinnerungen, Vorwissen, speziellen Interessen der Besucher angereichert wird.

Goerke: Nicht-hierarchisches Erzählen und Gehen verlaufen parallel. In dem Sinne, dass man eben nicht zu Objekt „eins“, „drei“ oder „acht“ zieht, sondern versucht, einem Pfad zu folgen, der einem die jeweilige Thematik – etwa „Die Ökonomie im Goldenen Dreieck“ – erzählt. Was unabhängig von Objekt „eins“, „drei“, „acht“ stattfinden kann, aber nicht muss. Wir haben unsere künstlerische Idee zunächst in einem 72-minütigen Mash-up akustisch inszeniert, das sich die Besucher im Verlauf mehrerer Test- und Evaluierungsphasen als „Audio Guide Special“ anhören konnten. Bei Workshops haben wir zudem mit einem eigens mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin entwickelten Prototypen des Geräts plus Interface zur Gestenerkennung die Möglichkeiten eines interaktiven, non-linearen Walkabout durch die Ausstellung testen können.

Sie ziehen Ihr Publikum hin zu thematischen Magneten, anhand derer die Komplexität des Lebens hinter dem Exponat gezeigt wird.  Damit vermitteln Sie eigentlich Wissen, nicht Information.

Goerke: So war das gedacht. Wir haben uns für diese Ausstellung bestimmte Schlüsselobjekte thematischer Art gewählt – etwa eine chinesische Plastiktragetasche –, anhand derer wir die gesamte Geschichte drum herum erzählen: in diesem Fall die Ökonomie des Kulturkreises, so wie sie uns wichtig erschien.

In einem anderen Fall ging es uns nicht um die exakte Beschreibung von Rollbildern der Mien, in denen daoistische Gottheiten leben, sondern darum, warum der Sammler Hansjörg Mayer, der bei uns im O-Ton zu Wort kommt, gerade diese Objekte sammelt. Er erzählt dazu sehr viele schöne Geschichten, wie ich finde. Die etwa, dass die Gottheiten vor dem Verkauf der Bilder zum Auszug bewegt werden mussten. Erst nach dieser Zeremonie waren die Bilder überhaupt kulturell transportfähig. Die unmittelbare Erzählung dieses Bilderreise-Rituals trägt ganz entscheidend zu dem Verständnis bei, dass es sich bei dem Rollbild um etwas Göttliches handelt. Eine Bildbeschreibung hätte das nicht leisten können. Wir haben versucht, solche Themenschichten freizulegen.

Pusch: Die künstlerische Idee hinter unserer Arbeit ist ja die, dass jeder – je nach Vorbildung und Interessensausrichtung und je nachdem, wer er oder sie ist – im Museum etwas anderes erleben und hören kann. Darum haben wir bestimmte Umsteigestationen eingerichtet, an denen man einen Punkt vertiefen kann oder nicht. Wir haben die Hypertextstruktur des Internets in eine akustische Form gebracht.

Damit gibt Ihr „Audio Guide Special“ dem Ausstellungserlebnis etwas Personalisiertes, Privates, obwohl der Benutzer sich im öffentlichen Raum befindet.

Pusch: Ja – wir möchten das überschaubare Konglomerat aus unterschiedlichen Exponaten als Landschaft verstehen und jedem ermöglichen, sein eigenes Gespräch mit dieser Landschaft zu führen, seine eigenen Fragen zu stellen.


Dr. Gaby Hartel arbeitet als Kuratorin, Kunstpublizistin und Radioautorin an der Schnittstelle zwischen Sound, Wort und bildender Kunst. Derzeit ist sie Sound-Art-Kuratorin am Museum für Naturkunde Berlin im Rahmen des Förderprojekts der Kulturstiftung des Bundes „Kunst/Natur“.

Das Berliner Audiokunstduo Serotonin, bestehend aus der Autorin Marie-Luise Goerke und dem Toningenieur/Komponisten Matthias Pusch, realisiert fiktionale und dokumentarische Arbeiten für Hörfunk und Hörbuch sowie zahlreiche Raum-/Klanginstallationen.