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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

(K)ein Platz an der Sonne / Projektbeschreibung

Das „Schweigen über“ transparent machen

von Ute Marxreiter

„Mit einem Worte: wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.“ In Abwandlung des berühmten Zitats des späteren Reichskanzlers Bernhard von Bülow, mit dem er 1897 die Kolonialpolitik des deutschen Kaiserreichs in Afrika voranbringen wollte, beschäftigt sich das Projekt „(K)ein Platz an der Sonne“ mit der deutschen Kolonialgeschichte und ihren Verflechtungen mit dem Ethnologischen Museum. Im Zentrum stand die Frage, wie sich dieses Thema an junge BesucherInnengruppen vermitteln lässt.

Im zukünftigen Humboldt-Forum werden vier Flächen explizit für Kinder, Jugendliche und Familien gestaltet, sogenannte Juniorflächen. Eine dieser Flächen befindet sich in direkter Nachbarschaft der Ausstellungsmodule zu Afrika. Da Kolonialismus in diesen Ausstellungsbereichen Thema sein wird, ist es naheliegend, die angrenzende Juniorfläche für eine verdichtete Präsentation zu diesem Themenkomplex zu nutzen. Während die Ausstellungsbereiche zu Betrachtung und Kontemplation anregen, ist auf den Juniorflächen das Anfassen, Ausprobieren und Selbermachen erwünscht. Diese augenscheinliche Diskrepanz lässt viele Museen die Bereiche für Kinder und Jugendliche separieren und in eigene Kindermuseen auslagern. Es ist also ein mutiger Schritt seitens des Ethnologischen Museums, die Juniorflächen in den Ausstellungsfluss zu integrieren.

Im Rahmen des Humboldt Lab-Projekts sollten szenografische Umsetzungen des Themas Kolonialismus erprobt werden, die starke Berührungspunkte zur Alltagsrealität der Jugendlichen von heute haben. Handlungsorientierung, Interaktives, Athmosphärisches und das Erlebnis sollen im Vordergrund der Ausstellungsgestaltung stehen. Was aber wollen wir Kindern und Jugendlichen zum Thema Kolonialismus in Afrika vermitteln? Neben einer gewaltvollen Kolonialgeschichte, die Deutschland in diversen afrikanischen Regionen zu verantworten hat und in die das Ethnologische Museum mit der „Erwerbung“ von zehntausenden von Objekten verstrickt ist, finden sich zum Thema Afrika in nahezu allen Lebensbereichen bis heute eine erschreckende Anzahl an Klischees, Rassismen und Exotisierungen.

Projektentwicklung

Als Initiatorin des Projekts habe ich auf die Kraft eines heterogenen, kleinen Teams von 5 Personen gesetzt, die aus unterschiedlichen Kompetenzen heraus in diversen Workshops Ideen und Strategien entwickelten. Drei Feststellungen waren uns wichtig, um unsere Herangehensweise und Haltung zu definieren. Zum einen wirken koloniale Strukturen bis heute in unsere Lebenswelt hinein; besonders im Alltag vieler Jugendlicher spielen Aspekte und Folgen kolonialer Herrschaft, wie Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Rassismus, Ausgrenzung und Gewalt, immer noch eine Rolle. Gleichzeitig wird das Thema im deutschen Schulunterricht eher marginal behandelt. Und nicht zuletzt sehen wir beim Ethnologischen Museum eine besondere Verantwortung für diese Problematik, sind doch alle völkerkundlichen und ethnologischen Museen im Kontext des Kolonialismus entstanden.

Aufklärung, Sensibilisierung und das Thematisieren von Erinnerungskultur leiteten sich für uns daraus als Vermittlungsziele ab. Dabei verfolgten wir einen postkolonialen Ansatz, der davon ausgeht, dass Kolonialismus mit den formalen Unabhängigkeitserklärungen nicht abgeschlossen ist und dass es für die Behandlung des Themas essenziell ist, auch das „Sprechen über“ und das „Schweigen über“ transparent zu machen. Ebenso müssen Wechselbeziehungen und Verflechtungen zwischen den verschiedenen AkteurInnen offengelegt werden.

Für unsere Arbeitsweise hieß das konkret, dass wir Definitionsmacht und Autorität an zum Teil aktivistische AkteurInnen abgeben wollten, die das Ethnologische Museum und die Planungen für das Humboldt-Forum äußerst kritisch betrachten. Dies erwies sich in der Praxis jedoch als nicht ganz einfach: Nicht alle wollten mit uns ins Gespräch kommen oder mit uns zusammenarbeiten.

Der Raum

Wir fokussierten „ (K)ein Platz an der Sonne“ auf den deutschen Kolonialismus zwischen 1884 und 1914, um das umfangreiche Thema auf 100 Quadratmetern für Jugendliche darstellbar zu machen und auch den konkreten Bezug zum Ort Berlin zu stärken.

Entstanden ist eine Ausstellungsfläche mit einem Intro und fünf verschiedenen Themeninseln, die wesentliche Aspekte der deutschen Kolonialgeschichte in Afrika zeigen. Die Themeninseln laden zur aktiven Auseinandersetzung ein: zwei Stationen machen wesentliche Fakten anschaulich, Stationen zum Thema Alltagsrassismus und zu Fragen der Dekolonisierung schlagen den Bogen zur Gegenwart. So spielt sich etwa der junge Schwarze Deutsche Sidney Frenz in einem Videoclip humorvoll alle Klischees von der Seele, die im Alltag ständig an ihn herangetragen werden: „Darf ich mal Ihre Haare anfassen?“, „Sprechen Sie Afrikanisch?“.

Gegenwartsbezug spielte auch bei der Themeninsel zum Genozid an den Herero eine besondere Rolle. Tatsächlich wurde der Bezug hier von aktuellen politischen Ereignissen quasi „überholt“: Im Juli 2015, kurz nach der Eröffnung der Probebühne 7, wurde der Völkermord an den Herero und Nama auf einer Pressekonferenz der Bundesregierung erstmalig so benannt und damit anerkannt. Für uns war es eine besondere Freude, unser Ausstellungsmodul entsprechend zu aktualisieren, hatten wir doch darin die Historie des langen und zähen Ringens um diese Anerkennung im deutschen Bundestag explizit thematisiert und Israel Kanautijke als Herero-Nachfahre und Aktivist in einem Interview um seine Sicht auf dieses Thema gebeten.

Zur Darstellung historischer Zusammenhänge gestalteten wir eine Zeitschiene mit verschiedenen Perspektiven: Was war aus Sicht der deutschen BesatzerInnen wesentlich? Wie hat sich die Geschichte für die afrikanischen WiderstandskämpferInnen dargestellt? Jeweils fünf zentrale Ereignisse wurden als bewegliche Aufsteller auf der Zeitschiene angeordnet. So wurde erlebbar, dass Fakten verschieden interpretiert werden, Geschichte unterschiedlich erzählt wird und niemals abgeschlossen ist. Zwischen beiden Perspektiven konnten die BesucherInnen anhand von Symbolen das Anwachsen der Objekte in der Afrika-Sammlung des Ethnologischen Museums verfolgen: von rund 3500 Objekten im Jahr 1880 auf über 60.000 Objekte im Jahr 1920.

In die Hochzeit der deutschen Kolonialaktivitäten in Westafrika um 1900 führte die BesucherInnen ein Videospiel. Indem sie in die Rolle eines afrikanischen Königs im Kameruner Grasland schlüpften, erschlossen sich auch Hintergründe zu einigen Objekten in den Afrika-Sammlungen. Es wurde beispielsweise nachvollziehbar, warum König Njoya, der für den König im Spiel das historische Vorbild war, dem deutschen Kaiser jenen Thron schenkte, der heute zu den Glanzstücken der Afrika-Sammlungen im Ethnologischen Museum zählt. König Njoya versuchte mit diesem großen Geschenk die Beziehungen zum deutschen Kaiserreich positiv zu beeinflussen. Im Spiel wird klar, wie schwierig seine Situation war und wie sehr diese von gewaltsamen Konflikten mit den deutschen Besatzern bedroht war.

Ausblick

Ob es unserem Studienraum gelingt, das Thema deutscher Kolonialismus im Kontext des Ethnologischen Museums Jugendlichen näherzubringen, wird sich zeigen: Ab Spätherbst 2015 sind SchülerInnen als ExpertInnen eingeladen, den Raum zu erkunden und zu evaluieren.

Wir sind sehr gespannt, ob sich die Verbindung von Alltagsrassismus und Kolonialgeschichte erschließt und ob die jungen BesucherInnen durch unsere Ausstellung emotional berührt werden. Insbesondere über diesen Punkt hatten wir bei der Projektentwicklung viele Diskussionen geführt: Wie gelingt der Spagat zwischen Benennung von gewaltsamen historischen Fakten und unserer pädagogischen Verantwortung gegenüber Jugendlichen, diese nicht zu traumatisieren? Welche Rolle spielt Empathie? Wie müssen wir mit Bildmaterial umgehen?

Auf diese und weitere Fragen erhoffen wir uns Antworten und Anregungen, die in die Ausarbeitung der Juniorfläche für das Humboldt-Forum einfließen. Die ersten Diskussionen zu dem Projekt, die mit Gruppen von Studierenden und BesucherInnen geführt wurden, stimmen optimistisch: Alltagsrassismus, Dekolonisierung und „politisch korrekte“ Sprache sind offenbar Themen, die alle beschäftigen und die zu emotionalen und engagierten Gesprächen führen.


Ute Marxreiter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für Vermittlung im Ethnologischen Museum und Museum für Asiatische Kunst. Ihr Arbeitsschwerpunkt ist die Entwicklung der Juniorflächen für das Humboldt-Forum.


Ein Gespräch zu diesem Projekt finden Sie hier.