HINWEIS

Diese Website nutzt für statistische Erhebungen und zur Verbesserung des Internetauftritts das Webanalysetool Piwik. 

Aktuell wird ihr Besuch von der Piwik Webanalyse erfasst.

Nein, ich möchte nicht, dass mein Besuch erfasst wird.

ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

24h Dahlem / Projektbeschreibung

Gegenwärtigkeit erproben

von Martin Heller

Die Stadt Berlin und ihre Dahlemer Museen in einen außergewöhnlichen Dialog treten zu lassen, war die Grundidee des Projekts „Tanz der Archive“, aus dem die Filminstallation „24h Dahlem“ hervorging. Die städtischen Archive, die es zu verbinden galt, konnten dabei unterschiedlicher kaum sein: Zum einen die Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst, ein riesiger Fundus außereuropäischer Objekte, die sich infolge verschiedener politischer wie kultureller Konstellationen und Aktivitäten in Berlin befinden. Zum anderen das Archiv des aus über 11.000 Videoclips bestehenden Rohmaterials der Fernsehproduktion „24h Berlin – Ein Tag im Leben“, die 2009 für viel Aufmerksamkeit sorgte. Die 24-stündige Dokumentation von arte und dem Rundfunk Berlin-Brandenburg porträtiert einen Tag in Berlin in Bildern von 80 professionellen Drehteams und Beiträgen von Amateuren. Diese Bilder sind im Online-Archiv der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen öffentlich zugänglich (www.first-we-take-berlin.de).

Vergleichbar sind diese Archive dadurch, dass sich in beiden menschliche Existenz manifestiert. Greifbar in Erzählungen und Ritualen, bestimmt durch Liebe und Schmerz und verbunden durch die Menschen, die in Berlin leben. Denn natürlich spielen die Berlinerinnen und Berliner in „24h Berlin“ die Hauptrolle, genau wie sie einen beträchtlichen Teil des Dahlemer Museumspublikums ausmachen, das bei jedem Besuch seine eigene Lebenserfahrung, urbane Wahrnehmung und persönlichen Erwartungen mitbringt.

Auf dieser Basis schrieb das Humboldt Lab Dahlem zusammen mit der Deutschen Kinemathek im Frühling 2013 einen zweistufigen Konzeptwettbewerb aus. Aus 22 eingereichten Konzeptskizzen kamen drei Vorschläge in die engere Auswahl. Schließlich wurde die in Berlin lebende amerikanische Künstlerin Clara Jo mit der Umsetzung ihres Projekts „24h Dahlem“ beauftragt, das eine Übertragung der 24h-Formel nach Dahlem suchte. Das Interesse von Clara Jo galt dabei sowohl dem Alltag als auch dem gewaltigen Umbruch, in dem sich das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst befinden.

Tag, Nacht, Zukunft

Als Struktur schlug die Filmemacherin vor, die 24 Stunden eines Tages in Dahlem in drei Teilen zu zeigen. Statt der erwartbaren Teilung in dreimal acht Stunden ergab sich schon bald eine dramaturgisch überzeugendere und raffiniertere Konstellation. Teil 1 sollte der Nacht in Dahlem gewidmet sein und Teil 2 dem Tag, während Teil 3 die Zukunft thematisiert – mit einem spektakulären Blick auf die Baustelle des Humboldt-Forums in Berlin Mitte.

Für die kreative und arbeitsökonomische Bewältigung des gesamten Projekts war eine gestaffelte Realisierung unabdingbar. Die drei Teile von „24h Dahlem“ entstanden deshalb nacheinander und wurden auch zu verschiedenen Zeitpunkten eröffnet, alle im Rahmen der Probebühne 3, aber in räumlich voneinander getrennten Installationen.

Worin aber bestand dabei der Tanz? Wie kamen in dieser Arbeit Stadt und Museen zueinander? Die ebenso überraschende wie überzeugende Lösung ergab sich durch die Mitwirkung des Musikers Robert Lippok, der zuerst das Material des Online-Archivs der Kinemathek und danach die Dahlemer Sammlungen nach passenden Klängen und akustischen Dokumenten durchsuchte. Es gelang ihm, zwischen der Bild- und der Tonspur der drei Teile ein je besonderes und bei aller Komplexität nachvollziehbares Geflecht von Bezügen herzustellen. Auf diese Weise entstand etwas Neues: ein transdisziplinärer Essay über diesen in Auflösung begriffenen Ort der Sammlungen in Dahlem, der im Humboldt-Forum aufgehen wird.

Deutlich wird dieses Prinzip bereits im Teil 1, „Nacht“, der einen Wachmann beim nächtlichen Rundgang durch das Museum zeigt. Der Betrachter des Films folgt ihm durch Ausstellungs- und Depoträume und erlebt das Ethnologische Museum in einem Ruhezustand, der wenig mit den musealen Gegebenheiten, aber viel mit der Regie des nächtlichen Kontrolleurs zu tun hat. Dessen Stablampe macht mitunter groteske Entdeckungen, während andererseits die Raumbeleuchtung jeden Unterschied zwischen Tag und Nacht eliminiert. Lippok umspielt diese Bilder mit vielfältigen Aufnahmen zum Berliner Nachtleben aus dem Online-Archiv, die zusammen mit den Eindrücken aus dem Museum zu immer wieder neuen Assoziationen führen. Jemand berichtet über seine Nachtschicht, andernorts wird gefeiert, Gebete sind zu hören oder Discobässe.

Teil 2, „Tag“, konzentriert sich auf unerwartet kryptische Arbeitsvorgänge aus dem Museumsalltag. Die Filmemacherin beobachtet mit ihrer Kamera zwei Museumsmitarbeiter – Ulrike Folie im Archiv für Visuelle Anthropologie und Albrecht Wiedmann im Phonogramm-Archiv – und montiert die Aufnahmen parallel. Ethnologische Filme werden gesichtet und katalogisiert; Clara Jo schneidet Sequenzen daraus sowie historisches Material, das auf den Museumsgründer Adolf Bastian zurückgeht, zwischen ihre eigenen Aufnahmen. Mit den Wachswalzen des Phonogramm-Archivs wiederum kommt ein Medium zur Darstellung, das eine sinnlich-attraktive Fremdheit ausstrahlt. Begleitet wird dieser fast poetische Bildfluss durch Wachswalzen-Aufnahmen von 1930 aus Ostafrika und durch Klänge, die Robert Lippok mit Instrumenten aus der musikethnologischen Sammlung produzierte – in einem buchstäblich tastenden Erkunden noch unbekannter Möglichkeiten.

Nochmals anders dann Teil 3: In „Zukunft“ rückt mit dem Bauplatz des Humboldt-Forums in der Mitte Berlins erstmals die Stadt ins Bild. Aber natürlich kann der Film bloß auf das Gebäude verweisen, das entsteht. Er fantasiert in spektakulärer Choreografie vom Schloss und zeigt zugleich die konkrete Arbeit in der Schlossbauhütte der Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum, in der die historisierenden Fassadenelemente gefertigt werden. Die Substanz dessen, was mit dem Humboldt-Forum verwirklicht werden soll, lässt sich nicht darstellen; die Zukunft bleibt ein Versprechen.

Bezeichnende Sprachlosigkeit

Geplant war, die Bilder von „Zukunft“ mit Interviewausschnitten zu unterlegen, die Clara Jo mit MitarbeiterInnen in Dahlem führte. In der Realisierung zeigte sich jedoch ein seltsames Missverhältnis zwischen Wort und Bild, sodass der Kommentar unterblieb: eine vielleicht bezeichnende Sprachlosigkeit. Zu hören sind stattdessen wiederum Stadtklänge aus dem Online-Archiv von „24h Berlin“ und Audiospuren nicht-europäischer Musikinstrumente.

Die Filme von Clara Jo und Robert Lippok gewinnen der Institution Museum wie auch den Dahlemer Ausstellungen, in denen sie installiert waren, Momente großer Eindringlichkeit ab. Kein dokumentarischer Auftrag und keine Didaktik sind im Spiel. Künstlerische Freiheit, ein schrittweises Erproben und die Gewissheit, gegebenenfalls auch scheitern zu dürfen, ermöglichen Resultate, die gerade durch diese Offenheit überzeugen.

Gegenwärtigkeit ist eines der Hauptanliegen der Ausstellungen im zukünftigen Humboldt-Forum. Gegenwärtigkeit nicht als bloße Aktualität von Inhalten, sondern als vielschichtiges Resultat von Emotionen, Sprache, Haltungen, Annäherungen. „24h Dahlem“ lässt spüren, was das bedeuten könnte.


Martin Heller ist Mitglied der Leitung des Humboldt Lab Dahlem und verantwortlich für die inhaltliche Konzeption des Humboldt-Forums.


Ein Gespräch zu diesem Projekt finden Sie hier.