Zur Produktivität des Unabgeschlossenen
Das Verhältnis zwischen dem Humboldt Lab Dahlem und dem geplantem Humboldt-Forum ist durch eine Ungleichzeitigkeit gekennzeichnet: Während das Humboldt Lab dazu initiiert wurde, die Planungen der Ausstellungsflächen im Stadtschloss mit praktischen und experimentellen Impulsen zu unterstützen, waren diese bereits zu Beginn der ersten Probebühne weit vorangeschritten.
Eine Grundidee des Humboldt Lab ist es, tradierte Ausstellungspraktiken und -konzepte mittels ganz unterschiedlicher Formate und Methoden zu befragen, ja vielleicht zu irritieren und nach neuen Wegen des Ausstellens zu suchen. Dass dies am „alten“ Standort in Dahlem passiert, macht großen Sinn und verweist auf eine weitere Ungleichzeitigkeit: Experimentiert wird nämlich inmitten von Dauerausstellungen, die dann, wenn das Humboldt-Forum eröffnet wird, längst abgebaut sind. Doch genau hierin liegt das Potenzial des Humboldt Lab – mit diesen verschiedenen Zeitlichkeiten zu arbeiten, sie sichtbar zu machen, in Spannung zu halten und nicht nur mit Bezug aufs Humboldt-Forum danach zu fragen, was eigentlich eine gegenwartsorientierte Auseinandersetzung mit ethnologischen Sammlungen ausmachen kann.
Dieses Potenzial wurde in der Abschlussdiskussion eines internen Workshops, an dem ich als Beobachter teilnahm, ziemlich einhellig unterstrichen. Leitfrage für die Kurzbeiträge der hierzu eingeladenen Fach- und MuseumsvertreterInnen und der daran anknüpfenden Diskussionen war die Umsetzbarkeit zweier Humboldt Lab-Projekte im Humboldt-Forum.1
Es handelte sich dabei um ganz unterschiedliche Aspekte, die hinsichtlich der beiden thematisierten Ausstellungsprojekte als produktiv herausgestrichen wurden. In erster Linie waren dies die radikale Prozessualität und die Interpretationsoffenheit der Installationen. Sie sind im ethnologischen Museumskontext kein häufiges Phänomen: Was im Kunstfeld selbstverständlich ist, muss für ein ethnologisches Museum immer wieder begründet werden. Denn hier wird doch zumeist weiterhin mit einem „Bildungsauftrag“ argumentiert, nach dem „die Welt“ – und hier ist die Welt außerhalb Europas gemeint – den BesucherInnen „vorgestellt“ werden soll.2 Die Suchprozesse der beiden Humboldt Lab-Projekte, die für das Publikum nicht nur nachvollziehbar gemacht, sondern in die es aktiv mit einbezogen wurde, empfanden die DiskutantInnen nicht nur als fruchtbar bezüglich ihrer Herausforderung zur aktiven Rezeption. Sie wiesen sie vielmehr als notwendig für jede Arbeit mit ethnografischen Objekten aus. Denn es soll, ja es kann eben nicht um das „Vermitteln“ eines bereits abgeschlossenen Wissens gehen, sondern es geht um eine kontextgebundene Auseinandersetzung, die sich ihrer eigenen Partikularität und auch wissenschaftlichen Fehlbarkeit bewusst ist. Und die der Sperrigkeit des historischen Materials genügend Raum lässt. So war das Plädoyer vieler Teilnehmender, als Konsequenz aus dem Humboldt Lab auch im Humboldt-Forum mehr Spielraum für Experimente zu schaffen. Und das nicht nur, um den auf mehrere Jahre hin angelegten Ausstellungsmodulen flexiblere Nischen gegenüberzustellen, sondern vielmehr um die Erzählungen selbst veränderbarer zu machen und unterschiedliche Perspektiven neben- und gegeneinander zu ermöglichen.
Museumsethnologie und aktuelle ethnologische Theoriebildung und Forschung gehen weiterhin zu sehr getrennte Wege. Die beiden Humboldt Lab-Projekte zeigen hingegen, wie publikumsnah (und dabei sicher nicht konfliktfrei) eine reflexive und wissenschaftsgeschichtlich interessierte Ausstellungspraxis sein kann, die nicht für sich reklamiert, genau zu wissen, welches am Ende die „richtige“ Interpretation und Vorgehensweise ist. Es ist diese Produktivität des Unabgeschlossenen, die den Reiz vieler Projekte des Humboldt Lab – und eben auch gerade ihrer kontroversen Diskussion – am gegenwärtigen Dahlemer Standort ausmacht. Was dieser Prozess im Humboldt-Forum hinsichtlich einer gegenwartsbezogenen Auseinandersetzung mit den ethnologischen Sammlungen bewirken kann, bleibt abzuwarten.
1 In dem Workshop, der am 15. Februar 2014 in Dahlem stattfand, diskutierten ca. 20 TeilnehmerInnen zwei Ausstellungen, die sich mit Beständen der Amazonien-Sammlung auseinandersetzten: das von Andrea Scholz und Sebastián Mejía realisierte und in Zusammenarbeit mit dem Büro Eta Boeklund und dem Musikethnologen Matthias Lewy weiterentwickelte Projekt „Mensch – Objekt – Jaguar“ sowie die von Michael Kraus zusammen mit dem Szenografiebüro chezweitz verantwortete Ausstellung „Fotografien berühren“. Beide entstanden im Rahmen der Probebühne 3 des Humboldt Lab Dahlem.
2 Ethnologisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz: Konzept zur Präsentation der außereuropäischen Sammlungen im Humboldt-Forum 2008. In: Viola König, Andrea Scholz (Hg.): Humboldt-Forum. Der lange Weg 1999-2012. Baessler-Archiv Bd. 59, Berlin 2013.
Friedrich von Bose ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin. Er studierte Europäische Ethnologie und Gender Studies an der Humboldt-Universität und an der University of California in Berkeley. Im April 2014 hat er seine Dissertation fertiggestellt, für die er den Planungsprozess des Humboldt-Forums über mehrere Jahre ethnographisch beforscht hat.
Link Programm Evaluierungsworkshop (PDF)
Der interne Evaluierungsworkshop für die Projekte „Fotografien berühren“ und „Mensch – Objekt – Jaguar“ fand am 15. Februar 2014 in den Museen Dahlem statt.
TeilnehmerInnen:
Heike Behrend (Universität zu Köln)
Friedrich von Bose (Humboldt-Universität zu Berlin)
Alexander Brust (Museum der Kulturen Basel)
Angela Dreßler (Büro Eta Boeklund)
Richard Haas (Ethnologisches Museum Berlin)
Ernst Halbmayer (Philipps-Universität Marburg)
Paul Hempel (Ludwig-Maximilians-Universität München)
Jens Jäger (Universität zu Köln)
Michael Kraus (Universität Bonn)
Ingrid Kummels (Freie Universität Berlin)
Matthias Lewy (Freie Universität Berlin)
Sebastián Mejía
Stefanie Kiwi Menrath (Büro Eta Boeklund)
Mark Münzel (Philipps-Universität Marburg)
Wolfgang Schäffner (Humboldt-Universität zu Berlin)
Andrea Scholz (Ethnologisches Museum Berlin)
Mona Suhrbier (Weltkulturen Museum Frankfurt)
Viola Vahrson (Stiftung Universität Hildesheim)
Agnes Wegner (Humboldt Lab Dahlem)
Detlef Weitz (Büro für Szenografe chezweitz)
Moderation:
Irene Albers (Freie Universität Berlin)
Konzept des Workshops: Michael Kraus, Andrea Scholz