HINWEIS

Diese Website nutzt für statistische Erhebungen und zur Verbesserung des Internetauftritts das Webanalysetool Piwik. 

Aktuell wird ihr Besuch von der Piwik Webanalyse erfasst.

Nein, ich möchte nicht, dass mein Besuch erfasst wird.

ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

„Erinnerung als konstruktiver Akt – Künstlerische Konzepte für Museumssammlungen“

von Kito Nedo

Ethnologische Museen, darüber herrscht heute weitgehend Einigkeit, befinden sich in einer Krise. Sie sind aufgrund ihrer Geschichte eng mit der Kolonialzeit verbunden, repräsentieren strukturell ein überholtes Weltbild, ihren Sammlungen haftet oft der Makel des Raubguts an; seit Jahren schwelt eine Restitutionsdebatte – in Berlin etwa artikuliert durch die Kampagne „No Humboldt 21!“. Ethnologische Museen, so schrieb die Kunstwissenschaftlerin Susanne Leeb kürzlich, „dienten vor allem dazu, wissenschaftlich ›andere‹ Kulturen zu studieren, Verfügungsgewalt über sie zu demonstrieren und für das koloniale Projekt zu werben.“ In der Hauptstadt erhält die Debatte um die Zukunft und das Erbe ethnologischer Museen durch die näherrückende Eröffnung des Humboldt-Forums im Jahr 2019 zusätzliches Gewicht. Das Fehlstart-Szenario ist ganz real: ein ohnehin unpopuläres, weil historisierendes Barock-Fassaden-Gebäude plus gescheitertes Museum mitten im Zentrum der Stadt.

Deshalb berührte das Symposium „Erinnerung als konstruktiver Akt – Künstlerische Konzepte für Museumssammlungen“ (Berlin, 19. Oktober 2013) eine Reihe akuter museologischer und kulturpolitischer Fragen: Können ethnologische Sammlungen zukünftig tatsächlich unangetastet bleiben? Welche Aufgaben sollen sie heute erfüllen, wo die Diaspora im Callshop gegenüber lebt? Die Reflexion über die gegenwärtige, von Migrationsbewegungen geprägte Welt haben unterdessen andere übernommen: im Anschluss an die seit den 1960er Jahren aufgekommenen Cultural Studies sind dies vor allem Biennalen und Ausstellungen im Bereich der zeitgenössischen Kunst – siehe etwa das Initiativprojekt der Bundeskulturstiftung „Projekt Migration“. Die Gegenwartskunst bietet sich scheinbar als ein Ausweg aus den Legitimationsproblemen ethnologischer Museen an.
Was hat es zu bedeuten, wenn sich die Institutionen nun verstärkt um die Kooperation mit Gegenwartskünstlern bemühen? Was bedeutet das für die Institutionen? Was hat die Kunst davon? Oder haben Kritiker wie Sylvester Okwunodu Ogbechie recht, wenn sie behaupten, dass sich Künstler, die mit westlichen Museen bei der Neupräsentation ihrer ethnologischen Sammlungen zusammenarbeiten, dem „Verdacht der Mittäterschaft“ aussetzen?

Dass es darauf ankommt, wie mit solchen Sammlungen umgegangen wird, zeigt ein Beispiel, über das Melissa Chiu während des Symposiums sprach: 1992 hing ein riesiges Werbebanner von der Fassade der Maryland Historical Society in Baltimore: Es versprach den Passanten eine „andere Geschichte“, die es im Museum zu entdecken gäbe. Dahinter steckte ein Projekt des afroamerikanischen Künstlers Fred Wilson, der mit „Mining the Museum“ in der Historical Society eine Schau eingerichtet hatte, die bis heute einen Maßstab dafür liefert, was institutionskritische Interventionen von zeitgenössischen Künstlern im Rahmen von historischen oder ethnologischen Museen leisten können. Wilson brachte Objekte aus der Museumssammlung und anderes Material in einer sensiblen wie radikalen Weise so zusammen, dass das Publikum zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichtsdarstellung historischer Sammlungen eingeladen wurde. Gemäß der Maxime, dass man durch die Erforschung der Magazine noch mehr über ein Museum lernen könne, als beim Gang durch die Ausstellung allein, hatte der Künstler die Bestände der Historical Society gesichtet und viele Gespräche mit allen am Museum arbeitenden Personen geführt. Diese Forschungsarbeit lieferte die Grundlage für jene, seither vielzitierte Installation „Mining the Museum“ und zeigt: Oft genügen kleine Eingriffe, um eine andere Perspektive auf die Geschichte zu eröffnen. Wilson präsentierte etwa Silbergeschirr und – bisher im Depot verborgene – Sklaven-Fußfesseln in einer gemeinsamen Vitrine. So wurde der Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Reichtum und Sklavenausbeutung auf ganz einfache Art und Weise deutlich.

Über zwei Dekaden später scheinen für Künstler im Zusammenhang mit Museumssammlungen auch Rollen jenseits institutioneller Kritik möglich. Das zumindest ist der Eindruck, den man bei der Vorstellung des Ausstellungsprojekts „Tomorrow“ am Londoner V&A haben konnte, über das Jana Scholze sprach: Das Museum lud das Künstlerduo Elmgreen & Dragset ein, eine große ortsspezifische Installation in den ehemaligen Galerien für Textilien einzurichten. Die beiden Künstler, die seit Mitte der 1990er Jahre unter anderem die Traditionen der künstlerischen Institutionskritik locker in ihrer Praxis zitieren, kreierten für das Museum einen fiktionalen Charakter, durch dessen Privaträume die AusstellungsbesucherInnen geleitet wurden: Im South Kensingtoner Fake-Apartment von Norman Swann, Architekt im Ruhestand, wurden die Objekte aus der Sammlung des Museums also einmal nicht nach traditionellen Vermittlungsmustern präsentiert, sondern ganz in den Dienst der Geschichte ihres fiktionalen Charakters gestellt. „Tomorrow“ stellt – so Scholze – sowohl die Frage nach möglichen „Formen des Umgangs mit Objekten im Museum“ wie auch danach, „welchen Mehrwert Museumsobjekte im Gegensatz zu anders beschafften Objekten liefern“: Weil sich manche V&A-Sammlungsstücke für die Elmgreen & Dragset-Schau nicht entleihen ließen, wurden – neben den von den Künstlern mitgebrachten Dingen – kurzerhand ähnliche, andernorts erworbene Antiquitäten in die Ausstellung integriert. Wäre „Tomorrow“ also ein mögliches Modell für andere Sammlungen?

In Frankfurt am Main wiederum sind die Künstler tatsächlich zu einem zentralen Bestandteil der Praxis eines ethnologischen Museums geworden. „Meine Modelle und meine Arbeitsweise kommt aus der zeitgenössischen Kunst“ erklärte Clémentine Deliss zu Beginn ihres Vortrags. Deliss demonstrierte anhand von Bildbeispielen aus der in Frankfurt gezeigten Ausstellung „Trading Style – Weltmode im Dialog“ (November 2012 – August 2013), wie im seit 1904 bestehenden Weltkulturen Museum historische ethnografische Artefakte aus der Sammlung mit zeitgenössischen Arbeitsansätzen aus Kunst und Design zusammengebracht werden: Für das Ausstellungsprojekt wurden vier junge Modelabels – A Kind of Guise (Deutschland), Buki Akib (Nigeria), CassettePlaya (Großbritannien), Perks and Mini  (Australien) – zu Arbeitsaufenthalten in die Frankfurter Institution eingeladen, um über einen Zeitraum von mehreren Wochen und auf der Basis der umfangreichen Sammlung von Bildern, Filmen und Artefakten im Austausch mit Restauratoren und Forschungskustoden ihre eigenen Kollektionen im neu eingerichteten „Weltkulturen Labor“ zu entwickeln. In einer Art Bricolage-Technik, die sich sowohl dem Punk wie auch zeitgenössischen Mashup-Kulturen verdankt, wurden etwa historische Fotografien aus dem Musemsarchiv mit Bildmaterial aus den Lookbooks und Stylesheets der eingeladenen Modedesigner kombiniert. In der Verbindung von „Anthropologie, Gegenwartskunst und Mode“ seien die Exponate der Museumssammlung „als Quellenmaterial für neue Wissensinhalte, sowohl für ein Fachpublikum als auch für eine breitere Öffentlichkeit „ zu begreifen, so Deliss. Solch eine Praxis geht einher mit dem veränderten Selbstverständnis der Institution als „post-ethnografisches Museum“ (das sich übrigens auch in der Umbenennung zeigt: Bis 2001 hieß die Institution „Museum für Völkerkunde“, danach „Museum der Weltkulturen“  und seit 2010 „Weltkulturen Museum“).

In Frankfurt werden seit dem Antritt von Deliss zeitgenössische Künstler mit dem Ziel eingeladen, durch die Arbeit mit den Sammlungsbeständen die Objekte zu reaktivieren und in neue Zusammenhänge zu bringen. So ließe sich der „Kanon brechen“. Damit erntete Deliss auch Widerspruch aus dem Publikum: Müssten die BesucherInnen nicht erst einmal wissen, wie der Kanon aussieht, um dessen kritische Dekonstruktion zu verstehen? Wer sorgt für Breitenbildung, die doch die klassische Aufgabe der Museen sei?

Vielleicht gibt es aber gar keinen Widerspruch zwischen dem Museum als Bildungsanstalt und der Einbeziehung künstlerischer Konzepte? Für Stephen Little ergeben sich gerade aus den Beziehungen und Missverständnissen zwischen der Gegenwart und den alten asiatischen Kulturen die zentralen Fragen, die ihn als Museumskurator beschäftigen. Eine der nützlichen kuratorischen Techniken erläuterte Little anhand der 2000 am Art Institute of Chicago gezeigten Ausstellung „Taoism and the Arts of China“. In der Ausstellung, die sich erstmals überhaupt mit dem Wirken des Daoismus auf die chinesische Kunst auseinandersetzte, wurde die daoistische Philosophie „durch das Fenster der Kunst“ betrachtet und der Frage nachgegangen, wie Kunst im Kontext einer Religion funktioniert. Weil der Daosimus in China eine nach wie vor lebendige Tradition ist, war, so Little, „Taoism and the Arts of China“ auch eine Ausstellung zur Gegenwart. Denn: „Versteht man Daoismus, lässt sich die moderne chinesische Kultur an sich besser verstehen.“

Wie sieht ein Künstler selbst die ihm zugeschriebene Rolle? Wird er zum unkritischen Dienstleister degradiert? Im Gespräch mit Christian Jankowski fragte Moderator Jörn Schafaff nach der Situation, als Künstler eingeladen zu sein, um „mit einer Sammlung etwas zu machen“. Wie geht man mit einer solchen Zuschreibung um? „Einladungen sind immer willkommen“, erklärte  Jankowski. „Die Ambitionen, die sich mit einer Einladung verbinden sind unterschiedlich. Man muss dann sehen, ob es Sinn macht. Am liebsten hätte ich natürlich eine Carte blanche.“ Jankowski, dessen Werke sich oft um das Verhältnis zwischen KünstlerIn, Markt, Gesellschaft und Institution drehen, zeigte zuvor die Videoarbeit „Cleaning Up the Studio“ (2010), die auf Einladung des Nam June Paik Art Center in Südkorea entstand: Paik hatte sein unaufgeräumtes New Yorker Atelier kurz vor seinem Tod 2006 als Gesamtinstallation an das koreanische Museum verkauft; nach seinem Tod wurde es deinstalliert, nach Korea transportiert und in Seoul originalgetreu wieder aufgebaut. Für seine Videoarbeit engagierte Jankowski eine Reinigungsfirma mit dem schönen Namen Beautiful Cleaning, um das Atelier des toten Videoart-Pioniers zu säubern und aufzuräumen. So wird „Cleaning Up the Studio“, das wie ein PR-Clip für das Reinigungsunternehmen wirkt, auf mehreren Ebenen lesbar: als Künstler-Kommentar zur Authentizitätssucht des Publikums oder als Geschichte über das merkwürdige Unbehagen, das entsteht, wenn ein lebender Künstler die Hinterlassenschaften eines toten Kollegen zum Material erklärt.

Von Unbehagen war auch die  Wiederaufführung der Meilenstein-Ausstellung „When Attitudes Become Form“ 2013 in Venedig begleitet. Für die Rekonstruktion der Ausstellung, die ursprünglich der junge Kurator Harald Szeemann im Frühjahr 1969 in der Berner Kunsthalle inszenierte und die den Startschuss für die internationale Karriere des 2005 verstorbenen Kurators gab, fanden sich Szeemanns damaliger Mitarbeiter, der italienische Kurator Germano Celant, der Architekt Rem Koolhaas und der Künstler Thomas Demand im Auftrag der Fondazione Prada zusammen. In ihrem Vortrag ging Beatrice von Bismarck der Frage nach, welche Veränderungen sich durch Re-Inszenierungen wichtiger Ausstellungen ergeben. Im Falle von „When Attitudes Become Form“ erscheint die Neu-Inszenierung wie eine Umkehr der ursprünglich anti-kommerziellen Intentionen des Ausstellungsprojekts, das Konzept- und Minimal-Ansätze, Fluxus und Arte Povera zusammenbrachte.

Fazit: Die Gegenwartskunst kann die drängenden Probleme (wie etwa die Restitutionsfrage) Ethnologischer Museen nicht lösen. Ist sie schlau, dann beteiligt sie sich auch nicht an der Kaschierung dieser Fragen oder der Verschleppung solcher Diskussionen. Als kritische Instanz (siehe „Mining the Museum“) scheinen künstlerische Projekte jedoch in der Lage, in einem bestimmten Rahmen die Sicht des Publikums auf die Institution und Sammlung zu verändern und kritische, ergebnisoffene Diskurse in Gang zu bringen: je unabhängiger ihre Position im Prozess (siehe Weltkulturen Museum Frankfurt), desto besser. Künstlerische Interventionen können helfen, bestimmte, intendierte oder althergebrachte Lesarten zu brechen. Durch die interdisziplinäre Öffnung und Erweiterung um Gegenwartskunst erscheint eine Vielstimmigkeit denkbar. Bestimmte Konstellationen werden möglich, die Ausgangspunkt für eine Diskussion sein können. Nur in der radikalen Öffnung erscheint eine Reaktualisierung der ethnologischen Sammlungen und ein Anschluss an gegenwärtige Diskurse möglich.


Kito Nedo arbeitet als freier Journalist und Kunstkritiker in Berlin.


Link Programmheft Symposium „Erinnerung als konstruktiver Akt“

Das Symposium „Erinnerung als konstruktiver Akt – Künstlerische Konzepte für Museumssammlungen“ fand am 19. Oktober 2013 im Rahmen des Projekts „Spiel der Throne“ in den Museen Dahlem statt.

ReferentInnen:
Beatrice von Bismarck (Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig)
Melissa Chiu (Asia Society Museum in New York)
Clémentine Deliss (Weltkulturenmuseum, Frankfurt)
Martin Heller (Inhaltsplanung Humboldt-Forum, Berlin)
Christian Jankowski (Künstler, Berlin)
Stephen Little (Los Angeles County Museum of Art)
Angela Rosenberg (Kuratorin Spiel der Throne)
Klaas Ruitenbeek (Museum für Asiatische Kunst, Berlin)
Jörn Schafaff (Freie Universität Berlin)
Jana Scholze (Victoria & Albert Museum, London)

Konzept des Symposiums: Angela Rosenberg