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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

EuropaTest - und jetzt?

von Susanne Messmer

Begleitend zum Projekt „EuropaTest“ wurden im November 2014 ExpertInnen aus Museen und Universitäten zu einem Symposium nach Berlin-Dahlem geladen, um die im Ausstellungsprojekt erschlossenen „europäischen“ Zugänge zu den „außer-europäischen“ Sammlungen zu kommentieren.

Während das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst im Jahr 2017 mit dem Umzug ins Humboldt-Forum nach Berlin-Mitte beginnen, wird das Museum Europäischer Kulturen in Berlin-Dahlem verweilen. Und doch: In fast jedes der Ausstellungsstücke, auch der Objekte nicht-europäischer Herkunft der Museen Dahlem, ist Europa eingeschrieben – nicht zuletzt sammlungsgeschichtlich. Wie lässt sich im künftigen Humboldt-Forum von diesem „impliziten“ Europa erzählen?
 
Oder, noch grundlegender: Wenn man davon ausgeht, dass Europa nur eine Erzählung, eine wirkmächtige Fiktion ist, die keine Deutungshoheit mehr erheben darf: Was erzählt Europa dann eigentlich von sich, indem es Artefakte aus aller Welt sammelt und ausstellt, die als „exotisch“ empfunden wurden und werden? Und, daraus folgend: Wie hinfällig sind Kategorien wie Europa selbst oder auch die Trennung zwischen „uns“ und den „anderen“?

Dies waren die Fragestellungen, denen sich das Symposium „EuropaTest – und jetzt?“ im November 2014 in Berlin-Dahlem widmete. Es begann mit Einführungen zum Planungsstand der Museumsausstellungen im Humboldt-Forum und einer Vorstellung des Konzepts des Humboldt Lab-Projekts „EuropaTest“ durch den Kurator Helmut Groschwitz. Es folgte eine Begehung dieser in sechs „Themeninseln“ gestalteten Ausstellungsintervention mit allen Interessierten.

Eine der wichtigsten Fragen an ethnologische Sammlungen europäischer Museen sei zweifellos die, wer spreche, eröffnete Dr. Bambi Ceuppens vom Royal Museum for Central Africa in Tervuren (Belgien) im Anschluss die Diskussion. In ihren Ausführungen bezog sie sich vor allem positiv auf die Themeninsel „Europa gesammelt“. Dieser gehe es darum, die Prozessualität und die Entstehungsgeschichte der Sammlungen in diese „hineinzuerzählen“. Es solle aufgedeckt werden, was die Sammlungen über die subjektiven Vorlieben und Wissenschaftskonstruktionen ihrer Sammler – im Fall der Dahlemer Museen Adolf Bastian und Rudolf Virchow – sowie über die Museen, durch die sie oftmals wanderten, aussagen. Gleichzeitig warnte Ceuppens in Bezug auf andere Ausstellungsinterventionen vor einer Gefahr: Wer zu stark darauf abhebe, europäische Denkmuster, Ethnoromantizismen und andere Projektionen bei der Präsentation außereuropäischer Artefakte aufzudecken, der könne leicht in koloniale Denkmuster zurückfallen. Die Idee, dass es in Afrika nichts Ursprüngliches gab und alles von außen kam, ist schließlich nicht neu – und liegt schnell wieder nah, wenn man jedem Artefakt eine europäische Parallele zur Seite stellt, um diffuse Ähnlichkeiten anzureißen, nicht aber konkrete wechselseitige Beeinflussungen dingfest zu machen.
 
„Wir müssen den Exponaten ihre Würde wiedergeben“, kritisierte ähnlich Prof. Dr. Monica Juneja von der Universität Heidelberg die Themeninsel „Europa provinzialisieren“, die den Kulturheros Chibinda Ilunga – auf den sich die zentralafrikanischen Chokwe beziehen – im Kontext der Entstehung des Weltmarkts mit Napoleon Bonaparte vergleicht. „Was erklärt dieser Vergleich? “, fragte sie. Und: „Wie können wir die Ausstellungsstücke trotz aller erforderlichen Kontextualisierungen für sich und für ihre Geschichte selbst sprechen lassen?“ Juneja stellte sich damit explizit gegen jene, die überzeugt sind, man müsse das Museum als Erfindung des 19. Jahrhunderts dekonstruieren oder zumindest die Sammlungen dringend um popkulturelle Artefakte oder zeitgenössische Kunst erweitern. Genauso gegen jene, die fordern, die Sammlungen in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken oder gar die Museen zu sprengen, wie Prof. Dr. Klaas Ruitenbeek, Direktor des Museums für Asiatische Kunst in Berlin-Dahlem, mit leicht melancholischem Unterton zitierte. Insgesamt lobte Juneja die Initiative, Europa als von Anfang an transkulturell und „geformt“ zu betrachten und nicht länger als Zentrum der Zivilisation.

Auch die Altamerikanistin und Ethnologin Prof. Dr. Karoline Noack von der Universität Bonn und Leiterin der Bonner Altamerikasammlung wünschte sich eine stärkere Hinterfragung „unserer Art des Sehens“. Sie stellte außerdem zur Diskussion, ob wir wirklich „Aushandlungen, Subversivität, Aneignungen und Bezüge von Übernahmen und Oktroyierungen unterscheiden können“. Als Beispiel nannte sie materielle Kommunikationssysteme wie sie in den Anden wirkten, die unter dem „sehr europäisch gedachten“ Label „Schrift und Zeichen Amerikas“ gar nicht vorkommen. Sie plädierte daher für noch härtere „Arbeit an der Last des Kolonialismus“, für noch mehr Transparenz, noch stärkere Beachtung der Historizität und Auflösung der Kategorien. Daraus folgend wünschte sie sich mehr räumliche Flexibilität für europäische Interventionen im Humboldt-Forum als durch die Ausstellung „EuropaTest“ vorgeschlagen – ein Punkt, den am Ende des Panels Prof. Dr. Elisabeth Tietmeyer, Direktorin des Museums Europäischer Kulturen, aufgriff.
 
Ein großer Kritikpunkt an den Ausstellungsinterventionen in der Diskussion bezog sich allerdings nicht auf deren Inhalte, sondern auf die Frage, an wen sie sich eigentlich richteten. „Nicht ausreichend zugespitzt“ bzw. „noch immer zu enzyklopädisch“, kritisierten Dr. Schoole Mostafawy vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe und Dr. Klas Grinell vom Världskulturmuseerna in Göteborg. Schoole Mostafawy plädierte für „mehr Augenhöhe“ zu den zukünftigen BesucherInnen sowie dafür, noch mehr Geschichten nachzugehen, noch mehr Gegenwartsbezug herzustellen und beispielsweise in Dialog mit der zeitgenössischen Kunst zu treten.

Klas Grinell dagegen sprach sich dafür aus, statt der Ausstellung einer Region oder eines Kontinents ein einzelnes, spezifisches Argument zu finden, für das man genug Beispiele anbringen könne, die nicht unbedingt multimedial aufbereitet sein müssten. Es gehe darum, eurozentristische Konzeptionen der Welt, die in Land- und Seekarten zum Ausdruck kommen, zugunsten neuerer Konzeptionen der Welt aufzugeben. Grinell erinnerte ebenso wie Mostafawy daran, dass es darum gehe, das Publikum zu gewinnen und zu berühren. Die BesucherInnen des Humboldt-Forums in Berlin-Mitte werden zumeist Touristen sein, viele von ihnen jung und popkulturell geprägt.
 
Täglich spiele ein großer Prozentsatz der Deutschen Videospiele, erinnerte Prof. Dr. Wolfgang Kaschuba von der Humboldt-Universität zu Berlin das Publikum: „Kennen Sie die Ethnisierungen und Stereotypen, die zum Beispiel in den Star Wars-Spielen bedient werden?“ Wie aber „soll man in einer Gesellschaft mit postkolonialen Themen umgehen, die sich ihrer kolonialen Vergangenheit kaum bewusst ist?“, fragte sich nicht nur Bambi Ceuppens. Allein Prof. Dr. Dieter Kramer von der Universität Wien sah hier falschen Alarmismus. Das Museum und seine MitarbeiterInnen hätten eine eigene Stimme und könnten durchaus Dinge zur Diskussion stellen. Das Museum als Institution wende sich auch am neuen Ort nicht nur an die „aktuellen BesucherInnen“, sondern auch an eine „kulturelle Öffentlichkeit“, die sich nach wie vor nach der „beschaulichen Tätigkeit“ des Museumsbesuchs sehne – und das auch in einer Welt der globalen Herausforderungen, die „so total in Unordnung“ sei wie die heutige.


Susanne Messmer ist Redakteurin der taz, die tageszeitung in Berlin.


Link Programmheft Symposium „EuropaTest - und jetzt?“

Das Symposium „EuropaTest - und jetzt?“ fand am 8. November 2014 im Rahmen des Projekts „EuropaTest“ in den Museen Dahlem statt. In mehreren Panels wurde zunächst über die Interventionen, die im Rahmen der Probebühne 4 im Ethnologischen Museum und Museum für Asiatische Kunst zu sehen waren, diskutiert und anschließend ein Blick auf das zukünftige Humboldt-Forum geworfen.

ReferentInnen:
Bambi Ceuppens (Royal Museum for Central Africa, Tervuren)
Klas Grinell (Världskulturmuseerna, Göteborg)
Helmut Groschwitz (Konzeption EuropaTest, Berlin)
Martin Heller (Inhaltsplanung Humboldt-Forum, Berlin)
Monica Juneja (Global Arts Studies, Universität Heidelberg)
Wolfgang Kaschuba (Europäische Ethnologie, Humboldt Universität Berlin)
Dieter Kramer (Völkerkundemuseum Frankfurt)
Léontine Meijer-van Mensch (Museum Europäischer Kulturen, Berlin)
Schoole Mostafawy (Badisches Landesmuseum Karlsruhe)
Karoline Noack (Altamerikanistik und Ethnologie, Universität Bonn)
Bettina Probst (Stabsstelle Humboldt-Forum, Berlin)
Klaas Ruitenbeek (Museum für Asiatische Kunst, Berlin)
Elisabeth Tietmeyer (Museum Europäischer Kulturen, Berlin)

Konzept des Symposiums: Helmut Groschwitz