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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Historische Sammlungen und Gegenwartskunst: Eine Diskussion kuratorischer Strategien

von Birgit Hopfener

Die Kunst der Gegenwart ist sowohl in den Ausstellungsprogrammen des Museums für Asiatische Kunst als auch des Ethnologischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin so präsent wie nie zuvor. Grund dafür ist in erster Linie das Humboldt Lab Dahlem, das zeitgenössischer Kunst im Zuge seiner Erprobungen innovativer Ausstellungsstrategien für das Humboldt-Forum eine maßgebliche Rolle beimisst.

Im Rahmen des Symposiums „Historische Sammlungen und Gegenwartskunst: Eine Diskussion kuratorischer Strategien“, das vom 2. bis 3. Juli 2015 in den Dahlemer Museen stattfand, diskutierte eine interdisziplinäre Gruppe von EthnologInnen und KunsthistorikerInnen, die in Museen und Universitäten tätig sind, kontrovers über die Integration zeitgenössischer Kunstpositionen in historische Sammlungen. Die Veranstaltung machte deutlich, dass die AkteurInnen dieses Diskurses aufgrund verschiedener disziplinärer, diskursiver, historischer und institutioneller Ausgangsbedingungen unterschiedliche Verständnisse von zeitgenössischer Kunst haben. Ein wichtiges Ergebnis der Konferenz ist die Einsicht, dass eine Differenzierung der Kategorie „zeitgenössisch“ notwendig ist, um konstruktiv kuratorische Möglichkeiten zu erörtern, wie historische Sammlungen und Gegenwartskunst miteinander in einen Dialog gebracht werden können.

Die Ausführungen des Philosophen Peter Osborne sind in diesem Zusammenhang erhellend. Ihm zufolge ist „das Zeitgenössische“ keine universale Kategorie, weil es keine einheitliche Zeitstruktur aufweist und durch verschiedenartige historische, geopolitische, diskursive und institutionelle Bedingungen konstituiert wird. Zu reflektieren, warum zeitgenössische Kunst in unterschiedlichen Institutionen in bestimmten Zeit- und Raumstrukturen ausgestellt wird, und dass ein Verschieben derselben notwendig ist, um konventionelle institutionelle Strukturen in Frage zu stellen, kristallisierte sich als ein zentraler Aspekt des Symposiums heraus.

Paola Ivanov, die das Symposium gemeinsam mit Verena Rodatus kuratierte, ist es ein zentrales Anliegen, die Verweigerung von Zeitgenossenschaft zu problematisieren, die ethnologischen Museen seit ihrer Gründung im Zuge des Kolonialismus eingeschrieben ist. Konstituiert durch den evolutionistischen Diskurs der westlichen Moderne, war das ethnologische Museum die Institution, in der Kunst- und Alltagsobjekte aus Afrika für ahistorisch statische Tradition und – dem Fortschrittsparadigma folgend – für frühere Stufen zivilisatorischer Entwicklung standen. Durch In-Bezug-Setzungen von Objekten aus unterschiedlichen regionalen Kontexten, aber aus gleichen zeitgenössischen Zeiträumen, möchte Ivanov nicht nur die angenommene Zeitungleichheit zwischen Europa und Afrika in Frage stellen, sondern auch ein Bewusstsein für gleichzeitige Zeitgenossenschaften erzeugen.

Ethnologische Museen verstanden sich bis vor Kurzem als Institutionen der kulturellen Repräsentation, in denen – basierend auf westlichen epistemologischen Strukturen – vermeintlich authentisches Wissen über andere Kulturen vermittelt wird. Dieses institutionelle Selbstverständnis und die damit verbundenen Ordnungs- und Machtstrukturen können durch zeitgenössische Kunst und kuratorische Strategien in Frage gestellt werden. Ivanov ist in diesem Zusammenhang die Auseinandersetzung mit anderen gesellschaftlichen Ästhetiken besonders wichtig. Kerstin Pinther sieht in der Fokussierung auf kulturspezifische Ästhetik die Gefahr, Kultur essentialistisch, das heißt als homogen und geschlossen zu verstehen, und sprach sich stattdessen für eine anthropologische Sichtweise auf Kunst und ihre gesellschaftlichen Wirkung aus. Auch Jaqueline Berndt schien die gesellschaftliche Funktion von Artefakten stärker betonen zu wollen, indem sie anregte, diese als Medien zu verstehen. Alexander Hofmann teilte Pinthers Besorgnis, betonte aber gleichzeitig auch, dass die Beschäftigung mit Fragen der Ästhetik im Rahmen der notwendigen Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Begriffen von Kunst eine Rolle spielen müsse.

Viola König, Direktorin des Ethnologischen Museums in Berlin, erinnerte daran, dass in Dahlem schon seit vielen Jahren zeitgenössische Kunst gezeigt und mit zeitgenössischen Künstlern zusammen gearbeitet werde. So forschte beispielsweise der indonesische Gegenwartkünstler Henri Dono, lange bevor er international bekannt wurde, in den Archiven des Museums. König begrüßte, dass die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst und kuratorischen Strategien im Zuge der Zusammenarbeit mit dem Humboldt Lab mehr Systematik erhalten. Martin Heller, Mitglied der Leitung des Humboldt Lab, und die Kuratorin Angela Rosenberg zeigten sich überzeugt, dass Interventionen zeitgenössischer Kunst bisherige Ordnungen herausfordern und zudem einen verlebendigenden Effekt auf die Dauerausstellungen haben.

Klaas Ruitenbeek, Direktor des Museums für Asiatische Kunst in Berlin, betonte, dass das Ausstellen der historischen Sammlungen für ihn Priorität besitze, er das Museum für Asiatische Kunst aber grundsätzlich als Ort verstehe, in dem asiatische Kunst aller Epochen gezeigt werden solle. Punktuellen Interventionen zeitgenössischer Kunst in die historischen Sammlungen steht er skeptisch gegenüber. Diese Haltung kann als Kritik an dem universalen Geltungsanspruch eines durch die europäischen Avantgarden geprägten Konzepts kritischer Kunstinterventionen verstanden werden. Stattdessen möchte Ruitenbeek mit zeitgenössischer Kunst im Museum „Geschichten erzählen“. Man solle zeigen, auf welche Weise sich GegenwartskünstlerInnen mit künstlerischen Traditionen auseinandersetzen und so Kunstgeschichten fortschreiben. Indem Ruitenbeek hervorhebt, dass das Museum für Asiatische Kunst im Unterschied zu allen anderen Kunstmuseen in Berlin nicht nur für Kunst einer Epoche, sondern aller Zeiten verantwortlich ist, weist er implizit darauf hin, dass die Berliner Kunstmuseumslandschaft fest in der dualistischen Zeit- und Raumstruktur der westlichen Moderne verankert ist, die der Logik „traditionell versus modern“ und „eigen versus fremd“ gehorcht. Während die Nationalgalerie die Aufgabe hat, euro-amerikanische Kunstgeschichtsnarrative zu repräsentieren und fortzuschreiben, konstituiert sich das Museum für Asiatische Kunst in Abgrenzung von dieser Institution „eigener“ Kunst, indem es die Kunst der „Anderen“ zeigt. Ruitenbeeks Vorschlag, in Zukunft mehr mit der Nationalgalerie und dem Hamburger Bahnhof zu kooperieren, kann als Ausdruck verstanden werden, diese institutionellen Vorgaben produktiv in Frage zu stellen und neue Zeit- und Raumhorizonte sowohl für zeitgenössische als auch für historische Kunst zu eröffnen.

Kerstin Pinther betonte die Wichtigkeit, unterschiedliche Zeitgenossenschaften in ihren lokalen und verflochtenen Geschichten zu berücksichtigen, um auf diese Weise die den Kunstmuseen und ethnologischen Museen eingeschriebenen räumlichen und zeitlichen Strukturen zu verschieben. Britta Schmitz gab zu bedenken, dass das Umwerfen dominanter Systeme, Narrative und Kanons auch nach dem Ende der großen Erzählungen, das aus ihrer europäischen Perspektive in das Jahr 1989 zu datieren ist, nicht so einfach sei. Dennoch sprach sie sich für einen Perspektivwechsel durch einen neuen Fokus auf verflochtene Geschichten aus. Dass sich dies auch in den Sammlungen widerspiegeln müsse, weil das Sammeln der „Anderen Modernen“ ein wichtiges Instrument sei, Institutionen eingeschriebene Zeit- und Raumstrukturen neu zu denken, dafür plädierten Kerstin Pinther und Tobias Wendl. Die konventionelle, durch die Institution der euro-amerikanischen Kunstgeschichte konstituierte Temporalstruktur situiert die Gegenwartskunst chronologisch nach der Kunst der Moderne. Lena Fritsch berichtete, dass sich das Kunstmuseum Tate Modern bewusst von dieser chronologischen Struktur abgewandt habe und stattdessen Geschichten ausgehend von transhistorischen Themen und multiplen Geschichten erzählt. Während die Aufnahme von Ausstellungen, die künstlerische Netzwerke zum Ausgangspunkt nehmen, positiv war, wurden thematische Ausstellungen, die formal-ästhetische Bezüge herstellen, kritisiert, weil auf diese Weise „Global Art“ als Kunstmarktgenre bedient und nicht kritisch untersucht würde.

Dass es genau um die kritische Reflexion von bedeutungs- und wertgenerierenden Strukturen gehen müsse, betonte Ursula Helg. Statt formal-ästhetischer Anschlüsse wäre deshalb eine kritische Beschäftigung mit unterschiedlichen Konzepten und ihren Geschichten erhellend. Interessant wäre zum Beispiel eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ausstellens und Forschens nach formal-ästhetischen Gesichtspunkten, wie sie im Rahmen des Symposiums durch die Kunsthistorikerin Julia Orell für den Kontext der ostasiatischen Kunst und Kunstgeschichte und von Pinther in Bezug auf die Kunst und Kunstgeschichte Afrikas herausgearbeitet wurden.

Institutionskritische Interventionen wurden zwar als wichtiges kuratorisches Instrument erachtet, um europäische Narrative zu stören, wie Elena Zanichelli es formulierte – aber auch kritisch bewertet. Anke Bangma gab zu bedenken, dass institutionskritische Interventionen aufgrund ihrer dualistischen Struktur der institutionellen Logik unmöglich entkommen können. Deswegen bestätigen sie geltende institutionelle Strukturen, anstatt sie neu zu denken. Die Äußerung der Künstlerin Lisl Ponger, dass sie Interventionen im Museum ablehne, weil sie sich nicht imstande sähe, auf diese Weise gegen den mächtigen institutionellen Diskurs anzugehen, und ergo Bevormundung drohe, ist in diesem Kontext zu verstehen.

Das Symposium machte deutlich, dass sich die Museen radikaler neu erfinden müssen, um der Komplexität verflochtener Geschichten, multipler Modernen und disjunktiver Zeitgenossenschaften gerecht zu werden. Die Herausforderung wäre es, so Jonathan Fine, über die selbstreflexive Kritik der Institutionen und ihre Arbeitsweisen hinaus nicht nur über „uns“ zu sprechen, sondern auch Objekte aus multiplen Perspektiven sprechen zu lassen. Auch Hofmann betonte die Notwendigkeit, die unterschiedlichen produktions- und rezeptionsästhetischen „Karrieren“ von Objekten in den Blick zu nehmen und formulierte die Hoffnung, dass Kunstmuseen und ethnologische Museen auf diesem Wege produktiv zusammenarbeiten werden. Bangma berichtete, dass sie versuche, Objekte in Bezug zu multiplen Subjektivitäten und Geschichten zu setzen. In diesem Sinne sind ethnologische Museen und Kunstmuseen – sowie auch die mit diesen verbundenen Disziplinen Ethnologie und Kunstgeschichte – als Institutionen herausgefordert, ihre Zeit- und Raumhorizonte kontinuierlich neu zu denken.


Dr. Birgit Hopfener ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin.


Link Programmheft Symposium „Historische Sammlungen und Gegenwartskunst“ (PDF)

Das Symposium „Historische Sammlungen und Gegenwartskunst: Eine Diskussion kuratorischer Strategien“  fand am 2. und 3. Juli 2015 in den Museen Dahlem statt.

ReferentInnen:
Anke Bangma (Kuratorin für Zeitgenössische Kunst, National Museum of World Cultures, Amsterdam)
Jaqueline Berndt (Graduate School of Manga, Kyoto Seika Universität, Kyoto)
Lena Fritsch (Assistant Curator, Collections International Art, Tate Modern, London)
Ursula Helg (Kunsthistorikerin und Ethnologin, Freie Universität, Berlin)
Viola König (Direktorin des Ethnologischen Museums, Berlin)
Ugochukwu-Smooth C. Nzewi (Künstler und Kurator, Dartmouth College, New Hampshire)
Julia Orell (Postdoc-Fellow, Academia Sinica, Taipei)
Kerstin Pinther (Kunsthistorikerin und Ethnologin, Ludwig-Maximilians-Universität, München)
Lisl Ponger (Künstlerin, Wien)
Angela Rosenberg (Kuratorin, Berlin)
Klaas Ruitenbeek (Direktor des Museums für Asiatische Kunst, Berlin)
Britta Schmitz (Leitende Kuratorin, Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Berlin)
Agnes Wegner (Leiterin der Geschäftsstelle des Humboldt Lab Dahlem, Berlin)
Elena Zanichelli (Kunsthistorikerin und Kuratorin, Leuphana Universität, Lüneburg)
Moderation:
Jonathan Fine (Kurator der Sammlung Afrika, Ethnologisches Museum, Berlin)
Alexander Hofmann (Kurator für Kunst aus Japan, Museum für Asiatische Kunst, Berlin)
Paola Ivanov (Kuratorin der Sammlung Afrika, Ethnologisches Museum, Berlin)
Verena Rodatus (Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Humboldt Lab Dahlem, Berlin)
Moderation der Abschlussdiskussion:
Tobias Wendl (Institut für Kunstgeschichte, Freie Universität, Berlin)

Konzept des Symposiums: Jonathan Fine, Silvia Gaetti, Alexander Hofmann, Paola Ivanov, Margareta von Oswald, Verena Rodatus