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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Auf dünnem Eis – Umwelt und Klimawandel in ethnologischen Museen

von Hans Jessen

Ein Titel von eindeutiger Doppeldeutigkeit: Er verweist auf das Problem abschmelzender Meeres- und Landeisflächen, aber auch auf das dünne, noch nicht so recht tragfähige Eis einer tastenden Suche nach Antworten auf komplexe Fragen. In diesem Sinne widmete sich der letzte Workshop der Reihe „Fragen stellen“ Fragen der Anpassung an Umweltphänomene, der Tragfähigkeit des Begriffs „Umwelt“ als solchem sowie Diskursen um Klimawandel und Ressourcenextraktion in der Ethnologie. Ein besonderer Blick galt den Möglichkeiten medialer Repräsentation von Umwelt- und Klimaphänomenen in der Ausstellungspraxis ethnologischer Museen.

Die Struktur: Vorträge, Paneldiskussionen, Künstlerpräsentationen, Gruppendiskurse – wechselweise im Plenum und in Arbeitsgruppen –, organisiert nach geografischen Regionen in Verbindung mit inhaltlichen Blickwinkeln. Die Veranstaltungen am 13. und 14. Oktober 2015 waren öffentlich, am 15. Oktober tagten EthnologInnen und KulturwissenschaftlerInnen aus Museen und Hochschulen sowie freie KünstlerInnen in nichtöffentliche Arbeitsgruppen.

Prolog: Erwartungen Indigener AkteurInnen an ethnologische Museen

Viola König, Direktorin des Ethnologischen Museum, skizziert zur Begrüßung knapp die Lage: In Zeiten, da ethnologische Institutionen ihre eigene Geschichte und Rolle im Umgang mit indigenen Völkern und deren Kulturen kritisch reflektieren und sich insbesondere der Kolonialismusdebatte mehr denn je stellen müssen, werden durch teils neu auftretende mächtige Player (wie zum Beispiel China) die Interessen indigener Gruppen massiv beeinträchtigt – von Rohstoffextraktion, Landschaftsveränderung und den Folgen des Klimawandels.

Victoria Tauli-Corpuz, UN-Sonderberichterstatterin für indigene Völker, vertieft diesen Befund in ihrer Eröffnungsrede, bindet ihn ein in die Sustainable Development Goals (SDG’s) und den Weltklimavertrag. Sie sieht eine neue Qualität der Zusammenarbeit: Indigene Völker würden von Ethnologischen Museen nicht einfach die Rückgabe von Artefakten verlangen – auch wenn diese oft in kolonialistischer, imperialer Weise gesammelt worden seien –, sondern die Museen auch als Bewahrer von kulturellen Zeugnissen und Kenntnissen respektieren, über die die Herkunftsländer eben dieser Zeugnisse und Kenntnisse selbst oft nicht mehr verfügen. Verbunden damit sei die Erwartung, dass dieses Wissen in engem Austausch mit indigenem Wissen genutzt werde, um radical changes zur Bewältigung globaler Herausforderungen einzuleiten. Zukunftstauglich sei allein ein partizipatorischer Ansatz, der in der Humboldt Lab-Form hervorragenden Ausdruck finde.

Ethnologisches Wissen kann indigene Völker bei der Bewältigung von Veränderungsprozessen in Kultur und Natur unterstützen. Als konkretes Beispiel nennt Tauli-Corpuz cultural mapping, mit dem erfolgreich Druck auf regionale Entscheidungsträger ausgeübt werden könne, indigene Rechte zu respektieren. Kurzum: Ethnologische Museen seien ein „Gedächtnis der Menschheit“.

Der Eröffnungsabend wird beschlossen durch die Präsentation von Filmclips, überwiegend aus dem Archiv für Visuelle Anthropologie des Ethnologischen Museums, die das Verhältnis Mensch – Natur in sehr unterschiedlichen Formen thematisieren. Vor allem historische Schwarz-Weiß-Filmbeispiele zeigen eher dichotomische Auffassungen dieses Verhältnisses, und legen damit ein anschauliches Fundament für die Diskussionen des folgenden Tages.

Wahrnehmung und Vermittlung von Umwelt- und Klimaveränderungen

In ihrer Keynote kritisiert Fiona Cameron von der Western Sydney University (per Videoübertragung aus Australien zugeschaltet) die traditionelle westliche Unterscheidung zwischen human und non-human, die das Nicht-Menschliche (Tiere, Pflanzen, Umwelt) automatisch in rein passive Rollen dränge. In der begrifflichen Trennung von Mensch und Natur werde ein Überlegenheitsanspruch zementiert, der zu Lasten von Kulturen gehe, die Mensch-Natur-Umwelt spirituell ganzheitlich begreifen. Am Beispiel einer Ausstellung zum Klimawandel im Londoner Science Museum kritisiert Cameron eine Wissenschaftsauffassung, die Autorität auch für den non-human-Bereich beanspruche. Natur werde in solchen Ausstellungen als passives Objekt dargestellt, Probleme des Klimawandels rein technisch (und damit auch technisch lösbar) gesehen. Cameron plädiert für eine Erkenntnis- und Darstellungsweise, in der die dichotomische Trennung Mensch-Natur tendenziell aufgehoben wird, und stattdessen human und non-human actors als immense Vielzahl eigenständiger, aber miteinander verbundener Akteure akzeptiert werden.

Es folgen intensive Werkstattgespräche in vier geografisch zugeordneten Panels mit unterschiedlicher Fokussierung. Diese entsprechen den konkreten Ausstellungsmodulen für das Humboldt-Forum: „Wahrnehmungen von Klimawandel in Ozeanien“, „Ressourcenextraktion in Amazonien“, „El Niño in der archäologischen Forschung“ und „Sharing Knowledge: Lebensraum Arktis“. Als gemeinsamer roter Faden zieht sich durch die verschiedenen Schwerpunktsetzungen der Anspruch, möglichst viele spezifische kulturelle Wahrnehmungen, Praktiken und Interessenlagen in den Diskurs zu integrieren.

Stichworte der Diskussionen (der Versuch einer protokollarischen Zusammenfassung würde den Rahmen dieses Reports sprengen): keine Opferstilisierung indigener Völker, sondern Herausarbeitung von Handlungsmöglichkeiten und -interessen. Keine eindimensional katastrophische Darstellung möglicher Auswirkungen von Klimawandel und Umwelteingriffen. Migration nicht ausschließlich als Flucht sehen, sondern auch als souveräne Entscheidung. Notwendigkeit der Infragestellung eigener Begrifflichkeiten („Was wir Klimawandel nennen, wird in Ozeanien anders wahrgenommen und erzeugt andere Reaktionen.“). Einbeziehung indigenen Wissens. Benennung von Verlierern wie aber auch Gewinnern der Wandlungsprozesse („El Niño als Treiber kultureller Veränderungen in Peru“). Aufmerksamkeit für unterschiedliche Prioritäten gesellschaftlicher Kommunikation („Bei unserem Volk in Alaska wäre jetzt der Beziehungsaspekt zwischen den diskutierenden Menschen viel wichtiger als der Arbeitsaspekt“ ).

Zentrale Fragen: Wie lassen sich solche Interdependenzen darstellen in Museumsausstellungen, die zu erheblichen Teilen auf Objekten basieren, die aus historischen, kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten herausgelöst wurden? Welche Stimmen sollen, müssen gehört – und in welcher Weise öffentlich dargestellt werden? Was ist AusstellungsbesucherInnen an zusätzlichen, über die Objekte hinausweisenden Informationen zuzumuten? Soll/darf ein call for action Ziel ethnologischer Museumsarbeit sein? Welche Rolle können Kunstprojekte bei der sinnlichen und emotionalen Erschließung von Themen spielen? Es gab die Beobachtung, dass fiktive Bilder oft dichter an der Realität sind als dokumentarische, und den folgenden Rat: „Kontextualisiert so viel Ihr wollt – aber bitte tut es stets poetisch.“

Die Mühen der Ebene

Am dritten Tag werden die Konzeptionen von vier Ausstellungsmodulen im Humboldt-Forum – „Ozeanien – Bedeutungen des Ozeans“, „Ressourcenabbau in Amazonien“, „Entlang des Humboldtstroms“, „Wissen teilen – arktische Lebensweise“ – in Bezug zum Workshop-Thema gesetzt. Brainstorming in vier Arbeitsgruppen: Wie können die an den Vortagen formulierten Ansprüche auf Kontextualität, Diversität von Wissen und Erfahrungen, partizipatorische Teilhabe indigener stakeholder, Transparenz von Informationsquellen, Poetik etc. in die Umsetzung der Module im Humboldt-Forum eingebracht werden, wo Raumarchitektur wie auch zentrale Objektauswahl schon weitgehend definiert sind? Kann der Einsatz digitaler Medien noch erweitert werden? Wie können Licht und Klang zur emotionalen Darstellung von Zusammenhängen genutzt werden? Welche interaktiven Angebote sind sinnvoll? Wie lassen sich Wasser und Atmosphäre zum Beispiel im Ausstellungsbereich Ozeanien als globale, grenzüberschreitende Elemente darstellen? Wie werden Rohstoffabbau und Landschaftseingriffe am Amazonas in Historie und Auswirkungen erfahrbar – und wie gehen indigene Völker damit um? Und was hat das alles mit uns zu tun? Von wem sprechen wir, wenn wir „wir“ sagen? Gibt es ein globales und ein lokales „wir“?

Feedback der Kuratorinnen, die für die geplanten Ausstellungsflächen im Humboldt-Forum zuständig sind:

Dorothea Deterts: „Ich habe den Workshop und die fruchtbaren Diskussionen in unserer Gruppe sehr genossen. Sie haben die Bedeutung bestimmter Themen und Verbindungen hervorgehoben und überraschende Ideen zur Realisierung gegeben. “

Andrea Scholz: „Für unsere Planung ist das vielleicht wichtigste Ergebnis, dass die Workshop-Themen Klimawandel und Umweltzerstörung in der späteren Ausstellung nicht separat von der historischen Sammlung diskutiert werden dürfen, sondern als weiteres Narrativ, in enger Verbindung mit den Exponaten. Erste Ideen für eine solche ‚Ausstellung in der Ausstellung‘ wurden entwickelt.“

Ute Marxreiter: „Der Workshop war für mich ein Geschenk: Insbesondere die Arbeitsgruppen entsprachen meiner Vorstellung, wie ich gerne in heterogenen Teams Inhalte und Konzepte für eine so komplexe Aufgabenstellung entwickeln möchte. Das Arbeiten war anregend, sehr produktiv und hat enorm Spaß gemacht. Ein Traum wäre es natürlich, mit den Teams in regelmäßigen Abständen weiterarbeiten zu können und die Ideen zu konkretisieren – da haben wir auf Museumsseite jetzt erst mal mit unseren ‚normalen‘ Ressourcen viel vor uns.“

Viola König: „Der Workshop hat verdeutlicht, dass wir es mit einem alle Regionen betreffenden Thema zu tun haben, das in jeweils unterschiedlichen Ausprägungen daherkommt. Wir diskutieren seit Beginn des Planungsprozesses ‚große Menschheitsthemen‘ im Humboldt-Forum. Umwelt und Klimawandel ist eines. Die Herausforderung ist die Umsetzung und Kenntlichmachung der übergreifenden Thematik in den Ausstellungen. Wir werden dabei weiterhin Beratung dringend benötigen.“

Fazit des Beobachters: Am Ende waren alle erschöpft, aber es war eine gute Erschöpfung. „Fragen stellen“ als disziplin- und kulturübergreifender diskursiver Arbeitsmodus hat sich ein weiteres Mal bewährt, eigene Gedanken- und Wissenswelten wurden bereichert, sodass Nutzen für alle TeilnehmerInnen entstand.


Hans Jessen ist Kultur- und Umweltjournalist. Er lebt in Berlin.


Link Programmheft Workshop „Auf dünnem Eis“ (PDF)

Der Workshop „Auf dünnem Eis – Umwelt und Klimawandel in Ethnologischen Museen“ fand vom 13. bis 15. Oktober 2015 in den Museen Dahlem statt.

ReferentInnen:
Volker von Bremen (Brot für die Welt, Misereor)
Fiona Cameron (Western Sydney University)
Dorothea Deterts (Ethnologischen Museum, Berlin)
Iris Edenheiser (Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim)
Manuela Fischer (Ethnologischen Museum, Berlin)
Ulrike Folie (Ethnologin)
Susanne Hammacher (Übersee-Museum Bremen)
Gabriele Herzog-Schröder (Ludwig-Maximilians-Universität München)
Wolfgang Kempf (Georg-August-Universität Göttingen)
Silja Klepp (artec Forschungszentrum Nachhaltigkeit, Universität Bremen)
Viola König (Ethnologischen Museum, Berlin)
Tong Lam (Historiker und Künstler)
Indra Lopez Velasco (Ethnologischen Museum, Berlin)
Elizabeth Marino (Oregon State University, Cascades)
Myriel Milicevic (Künstlerin und Interaktionsdesignerin)
Paul Ongtooguk (University of Alaska Anchorage)
Daniel Sandweiss (University of Maine, Orono)
Andrea Scholz (Ethnologischen Museum, Berlin)
Anna-Sophie Springer (Kuratorin und Autorin)
Victoria Tauli-Corpuz (UN-Sonderberichterstatterin für indigene Völker)
Agnes Wegner (Humboldt Lab Dahlem, Berlin)
Andreas Womelsdorf (Student)
Claudia Wosnitza-Mendo (ehem. Instituto del Mar del Perú – IMARPE, Lima)
Elizabeth Wurst (Künstlerin)
Monika Zessnik (Ethnologischen Museum, Berlin)
Moderation:
Gabriele Herzog-Schröder (Ludwig-Maximilians-Universität München)

Konzept des Workshops:
Indra Lopez Velasco, Andrea Scholz, Alan Prohm, Nathalie Keurmeur, Ute Marxreiter, Gabriele Herzog-Schröder, Ilja Labischinski