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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Chinesische Medizin im Wandel: Präsentation und Vermittlung im Humboldt-Forum

von Nike Riedel

Das Ethnologische Museum in Berlin besitzt eine einzigartige Sammlung von Objekten der Chinesischen Medizin. Im neuen Humboldt-Forum soll sie in einem Portalraum präsentiert werden, um in Inhalte, Geschichte und Entwicklung der Chinesischen Medizin einzuführen. Doch wie können diese Themen dargestellt werden? Und was ist überhaupt die Chinesische Medizin? Auf einem zweitägigen Workshop kam eine Runde verschiedener ExpertInnen zu dem Schluss: Um Chinesische Medizin zu verstehen und etwas von den Denkweisen und theoretischen Prinzipien, auf denen sie beruht, darzustellen, muss man sich auch mit der Philosophie und der Religion sowie vielen weiteren kulturellen Bereichen beschäftigen. Der Ausdruck Chinesische Medizin selbst steht dabei für die Beteiligten als Oberbegriff für eigentlich keineswegs einheitliche Konzepte und Methoden. Eine Führung des Kustos Siegmar Nahser durch das Depot des Ethnologischen Museums machte es möglich, die Diskussion jeweils an Objekten aus der Sammlung zu konkretisieren.

Die Ursprünge der Chinesischen Medizin reichen weit zurück. Die Workshoporganisatorin Silvia Gaetti vermittelte zu Beginn der Veranstaltung kenntnisreich ein Bild der Geschichte, aber auch der bisherigen Formen der musealen Präsentation von chinesischer Medizin: Das Lehrbuch „Huang Di Nei Jing“ – der Klassiker der inneren Medizin des Gelben Kaisers – ist ca. 300 Jahre vor unserer Zeitrechnung geschrieben worden und gilt im Osten wie im Westen heute noch als wichtige Grundlage einer fundierten Ausbildung in Chinesischer Medizin. Aber schon in der Shang-Zeit (ca. 1600–1050 v. Chr.) begannen sich Theorien und Traditionen zu entwickeln, die Teil der Grundlagen für die Chinesische Medizin wurden. Dazu gehörten Orakelknochen, Dämonenmedizin und das Yi Jing (Buch der Wandlungen). Seit ihren Ursprüngen hat die Chinesische Medizin viele Wandlungen durchgemacht, einzelne ihrer Autoren haben ihrerseits auf das religiöse Denken (Daoismus, Buddhismus, Konfuzianismus etc.) Einfluss genommen, Erklärungsmuster und Therapien wurden über Arztfamilien bzw. -kreise weiterentwickelt und weitergegeben, Ausübung und theoretische Weiterentwicklung über die Jahrhunderte durch die jeweiligen Herrscher befürwortet oder reglementiert (zum Beispiel Akupunkturverbot am Kaiserhof 1822).

Entscheidend für den Wissensreichtum und die Wissensweitergabe war die Hochkultur Chinas mit ihrem umfangreichen Publikationswesen. Ein eindrucksvolles Zeugnis hierfür findet sich im Ethnologischen Museum in Berlin: ein einzelner von ursprünglich über 11.000 Bänden aus der sogenannten Yongle-Enzyklopädie, in der zu Beginn des 15. Jahrhunderts sämtliches zu jener Zeit verfügbare Wissen in Exzerpten zusammengetragen wurde. Der Kurator Ching-Ling Wang stellte den Berliner Band – einen von weniger als 400 überhaupt erhaltenen – vor: Das reich illustrierte Buch widmet sich dem Thema Kinder. In Bezug auf Medizin ist es eine aufschlussreiche Quelle, weil es ausführlich auf Kinderkrankheiten eingeht und die jeweiligen Therapien mit originalen Textquellen auflistet – umso bedeutender, als viele dieser Quellen heute nicht mehr erhalten sind.

Für die heutige Wahrnehmung der Chinesischen Medizin spielten das Interesse des Westens an traditionellen chinesischen Therapien und der damit einhergehende Export von Wissen, Konzepten und Methoden aus China in den 1950er bis 1970er Jahren eine zentrale Rolle. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) prägte den Begriff der „Traditionellen Chinesischen Medizin“ (TCM). Die kreative Rezeption im Westen führte teilweise zu Auffassungen, die mit alten Traditionen wenig zu tun hatten. Aber die Prozesse ermöglichten auch ein Wiederaufleben alten Wissens durch die Lektüre und das Zugänglichmachen alter Texte durch Übersetzungsarbeit. Dies führte – trotz der Abwertung der Chinesischen Medizin unter Mao Zedong, als allein die Schulmedizin als fortschrittlich galt – zu einer Bündelung der Konzepte auch in China sowie zur Etablierung des Fachs TCM an chinesischen Universitäten. Im Westen wuchsen die Initiativen, die Wirksamkeit der TCM wissenschaftlich nachzuweisen und ihr so einen Platz in den Gesundheitssystemen zu verschaffen.

In seiner Darstellung der Grundprinzipien der Chinesischen Medizin verwandte Henry Johannes Greten, Arzt und Professor für Chinesische Medizin in Heidelberg, ein Vokabular aus Naturwissenschaften und Ökonomie, um ihre Nachvollziehbarkeit innerhalb im Westen vertrauter Denkweisen zu betonen: Das Leben sei danach ein „fließender“ Prozess, eine Sinuskurve, die sich daraus ergibt, dass Sollwerte in einem biologischen System nur reguliert, aber nie konstant erreicht werden können. Die große Stärke der Chinesischen Medizin bestehe darin, dass sie durch ihre ausgeklügelten Diagnosemethoden und empirischen Beobachtungen einen „Schnappschuss“ des Zustands eines biologischen Systems – beispielsweise Mensch – machen könne. Darin sehe man nicht nur, welche Schrägläufigkeiten (Pathologien) sich manifestieren, sondern auch, wohin sich diese entwickeln. Indem man den Zustand des Patienten auf einer Sinuskurve (oder Kreis der Fünf Wandlungsphasen) bestimme, könne man sagen, ob die Krankheitsentwicklung sich weiter vom Sollwert entfernen oder sich ihm wieder nähern wird.

Doch scheint Vorsicht geboten zu sein bei der Vorstellung, es gebe ein paar Grundprinzipien, aus denen sich die Chinesische Medizin erklären lasse. So gilt die in Deutschland inzwischen für einige Indikationen als Therapie anerkannte und von den Krankenkassen finanzierte Akupunktur als eine der sogenannten fünf Säulen. Die fünf Säulen seien: Akupunktur mit Moxibustion und Schröpfen, Tuina und Anmo (manuelle Therapie/Massagetechniken zur Behandlung von Akupunkturpunkten und Leitbahnen), chinesische Phytotherapie, Ernährungslehre sowie Qigong und Tai-Chi. Die Sinologin und Dozentin für Chinesische Medizin in München Ute Engelhardt erläuterte jedoch, dass die Idee der fünf Säulen eine moderne Entwicklung des 20. Jahrhunderts und keineswegs Bestandteil der traditionellen Lehren sei.

Der Sinologe und Anthropologe Michael Stanley-Baker vom Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte ging auf die Einflüsse der Religionen auf die Chinesische Medizin ein, insbesondere auf den der daoistischen Bewegung der Himmelsmeister (celestial masters) bezüglich der Etablierung der Phytotherapie. Als einer der berühmtesten Ärzte der Kräutertherapie gilt Sun Simiao (581–682). In der Sammlung gibt es mehrere Statuen von ihm, ausgestellt werden soll eine Figur, die ihn mit einem Tiger abbildet. Eine Legende hierzu erzählt etwas über den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Therapieformen: Sun Simiao soll den Tiger von einem Holzsplitter, der ihm im Hals steckte, befreit haben, woraufhin ihm der Tiger lebenslang folgte. Auf seinem Rücken eilte Sun Simiao zum Drachen, als dieser erkrankte. Mit Akupunkturnadeln wurde auch der Drache geheilt. Beide Tiere haben in der Bildlichkeit der chinesischen Tradition insgesamt eine große Bedeutung.

Im Humboldt-Forum kann im Portalraum an einer originalen Apotheke aus dem 19. Jahrhundert mit Gefäßen, Werkzeugen und Zubehör etwas von der chinesischen Kräuterheilkunde vermittelt werden. Wegen der zentralen Lage der Apotheke im Raum kam in der Diskussion die Idee auf, diese als „Gelenk“ zwischen einem professionellen Teil der Chinesischen Medizin mit ärztlichen Diagnosemethoden und einem der allgemeinen Lebenspflege zu inszenieren: Links der Apotheke gäbe es einen Bereich der Gesundheitspflege mit Qigong, Ernährung nach jahreszeitlichen Gegebenheiten und dem Einsatz von Kräutern als Hausmedizin, rechts davon einen Bereich mit Behandlungsliegen, auf denen die BesucherInnen Platz nehmen können und wo Akupunkturpunkte und Leitbahnen (Meridiane) auf ihre Körper projiziert werden. Zudem wurde angedacht, Praxisstationen zur Diagnose (beispielsweise Zungen-, Puls-, Gesichtsdiagnose) zu errichten. Daneben könnten verschiedene Rezepte und gegebenenfalls auch Bücher, wie zum Beispiel eines der ärztlichen Notizbücher aus der Sammlung, die über Generationen weitergegeben und ergänzt wurden, ausgestellt oder – als Reproduktion und mit Übersetzung – zur Benutzung ausgelegt werden.

Ein Detail, über das eine intensive Diskussion entstand, verdeutlichte erneut, welche Herausforderungen die Gestaltung der Ausstellung beinhaltet. So ging es um die Auswahl der zu vermittelnden Begriffe: Wie soll umgegangen werden mit der Tatsache, dass die Suggestion eines überschaubaren Begriffssystem der Tradition eigentlich nicht entspricht? Es ging dabei um Begriffe und Konzepte wie Yin/Yang, Wu Xing („Fünf Wandlungsphasen“), Qi („Energie“, „Kraft“) oder Ba Gang („Acht Leitkriterien“): Für diese Begriffe sollten auch die chinesischen Schriftzeichen gewählt werden und nicht nur die Wiedergabe in Pinyin, der offiziellen phonetischen lateinischen Umschrift der chinesischen Zeichen. Um welche weitreichenden Dimensionen der Übersetzung es hier geht und welche Missverständnisse drohen, machte die Sinologin Lena Springer von der University of Westminster in ihrem Vortrag deutlich.

Sowohl die KuratorInnen als auch die BesucherInnen müssen sich also auf so schwierige wie interessante sprachliche und kulturelle Übersetzungsprozesse einlassen. Der von Silvia Gaetti und Jan Valentini umsichtig konzipierte und geleitete Workshop war hierfür sicherlich eine wichtige Vorbereitung.


Nike Riedel ist als Ärztin für westliche und chinesische Medizin in Deutschland und der Schweiz tätig. Neben dem Studium der Medizin absolvierte sie ein Sinologiestudium mit mehreren Studienaufenthalten in China.


Link Programm Workshop „Chinesische Medizin“ (PDF)

Der Workshop „Chinesische Medizin im Wandel. Präsentation und Vermittlung im Humboldt-Forum“ fand am 21. und 22. Juli 2015 in den Museen Dahlem statt.

ReferentInnen:
Ute Engelhardt (Sinologin, Dozentin des TCM-Master-Studiengangs an der Technischen Universität München)
Silvia Gaetti (wissenschaftliche Museumsassistentin i. F. an der Sammlung Ost- und Nordasien, Ethnologisches Museum, Berlin)
Henry Johannes Greten (Professor für Chinesische Medizin, Universität Porto; Direktor der Heidelberg School of Chinese Medicine)
Siegmar Nahser (Kurator der Sammlung Ost-und Nordasien, Ethnologisches Museum, Berlin)
Lena Springer (Research Fellow, University of Westminster)
Michael Stanley-Baker (Post-Doc-Forscher, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin)
Ching-Ling Wang (Kurator der Sammlung Alte Chinesische Kunst, Museum für Asiatische Kunst, Berlin und der Sammlung China, Ethnologisches Museum, Berlin)
Moderation:
Jan Valentini (Arzt und Dozent für Westliche und Chinesische Medizin, Universität Heidelberg)

Konzept des Workshops: Silvia Gaetti, Jan Valentini